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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 54: Zeugnisformulierung: Verschleiern und Ausweichen

Um unangenehme Tatsachen zu verschweigen oder um falsche Fährten zu legen und dadurch Konflikte mit den ausscheidenden Mitarbeitern zu vermeiden, wird in Zeugnissen immer wieder ausgewichen und Unwichtiges hervorgehoben. So soll der Anschein von guten Zeugnissen erweckt werden.

Der Fall:

    Arbeitgeber König Blaubart entläßt betriebsbedingt den Alt-Arbeitnehmer Gevatter Lustig und die kluge Else. Er ist aber auch schon lange mit ihrer Arbeitsleistung und ihrem Verhalten unzufrieden. Deshalb möchte er einem zukünftigen Arbeitgeber gewisse Tips im Zeugnis hinterlassen. Andererseits will er aber nicht vor’s Arbeitsgericht gezerrt werden. Deshalb soll der Eindruck eines guten Zeugnisses bei den Mitarbeitern entstehen.
    König Blaubart versucht dies dadurch, daß er die Reihenfolge bestimmte Aufzählungen vertauscht und dadurch, daß er Selbstverständlichkeiten anstelle von Wichtigkeiten hervorhebt.

Die Lösung

1. Vertauschte Reihenfolge

    Gevatter Lustig war Einkaufsleiter. Er war außerdem zuständig für die Anschaffung der gesamten Technik.
    Um Hinweise für seine Unzufriedenheit zu geben, hat Arbeitgeber Blaubart im Zeugnis zunächst das Sozialverhalten von Gevatter Lustig und sein besonderes Engagement bei Betriebsfesten hervorgehoben.
    Dann hat er die Tätigkeitsfelder von Gevatter Lustig ausführlich beschrieben und zum Schluß noch 2 Sätze zur Leistung.
    Eine solche Vertauschung der normalen Zeugnisreihenfolge muß beim Leser den Verdacht erwecken, daß dahinter ein gezielter Hinweis steckt.
    Gevatter Lustig hat Anspruch darauf, daß im Zeugnis zunächst seine Tätigkeit beschrieben wird, dann sein Leistungs- und Führungsverhalten beurteilt wird und schließlich sein Sozialverhalten noch abgehandelt wird. Eine Vertauschung der Komponenten führt zur Abwertung des Zeugnisses.

2. Nennung von Nebenaufgaben vor Hauptaufgaben

    Um das Ganze noch deutlicher zu machen, hat Arbeitgeber Blaubart u.a. formuliert:

    “Gevatter Lustig war Einkaufsleiter und zuständig für die Technik. So hat er sich besonders verdient gemacht um den Einkauf von Büromaterialien, Papier- und Kantinenbedarf. Außerdem hatte er die Entscheidungen für alle Investitionen im Fahrzeug- und Maschinensektor zu treffen und deren Finanzierung sicherzustellen.”

    Diese Aufzählung ist ohne Leidenschaft und scheinbar wertfrei. Allerdings fällt jedem Fachmann auf, daß die wichtigen Investitionsentscheidungen und die Finanzierung hinter einfachen Routinetätigkeiten wie dem Einkauf von Büromaterial rangiert. Die Aufzählung der verschiedenen Tätigkeiten und die richtige Reihenfolge der Wertigkeit alleine kann auch zwar in sich unproblematisch sein. Diese Aufzählung kann aber durch einen Schlußsatz entwertet werden, z.B.:

    “Mit seinen Leistungen, insbesondere mit seinen Investitionsentscheidungen und seinen Finanzierungsmodellen konnten wir insgesamt zufrieden sein”.

    Dieser Schlußsatz wertet alles vorangegangene. Er besagt, daß Gevatter Lustig bei den wirklich wichtigen Dingen im einzelnen durchaus mangelhafte Leistungen erbracht hat.

3. Hochstilisieren von Unwichtigem

    Die beliebteste Form der Verschleierung besteht darin, Unwichtiges hochzustilisieren und über Gebühr zu loben. So entsteht stets der Eindruck eines guten Zeugnisses, das aber bei genauer Betrachtung inhaltsleer und widersprüchlich ist.

    Negativ ist die Aussage für einen Ingenieur / Diplomkaufmann / Juristen:

    er setzte seine Fachkenntnis zur Durchführung der ihm übertragenen Aufgaben ein,

    sie setzte sich für die Belange der Firma ein.

    Es ist wohl klar, daß ein Unternehmen beim Engagement einer hochbezahlten Fachkraft erwarten darf, daß er sein Fachwissen zur Durchführung seiner Aufgaben einsetzt / daß sie sich für die Belange der Firma einsetzt. Noch gravierender ist diese Formulierung, wenn es sich um höhere Managerpositionen oder um leitende Angestellte handelt.
    Auch bei Außendienstmitarbeitern ist es selbstverständlich, wenn sie sich für die Interessen der Firma einsetzen. Wenn diese Beurteilung nicht weitere heraushebende Attribute enthält, ist sie in jedem Falle negativ zu sehen. Gleiches gilt für folgende Formulierungen bei Managern, Außendienstmitarbeitern, Versicherungsangestellten etc.:

    Herauszuheben ist ihr gepflegtes Äußeres / ihr Geschmack beim Aussuchen der Garderobe.

    Besonders erfreulich war die Pflege des Dienstwagens und sein guter Erhaltungszustand bei der Rückgabe.

    Die Besuchsberichte des Pharmareferenten bei diversen Ärzten waren sehr informativ.

    Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß Besuchsberichte informativ sind. Andernfalls müssen sie gar nicht erst angefertigt werden.

    Vielsagend ist auch folgende Zeugnisbemerkung beim Personalchef:

    Seine klaren Anweisungen an die Abteilungsleiter und Untergebenen waren bemerkenswert.

    In seiner Pünktlichkeit war er stets ein Vorbild für alle Mitarbeiter.

    Seine Korrespondenz war stets vorbildlich sortiert und zeitnah erledigt worden.

    Dies sind für eine Führungsposition alles Selbstverständlichkeiten, die verschleiern, daß die wirklich wichtigen Dinge unerwähnt bleiben. Daß der Personalleiter klare Anweisungen gibt, muß nicht als alleiniges Tribut hervorgehoben werden.
    Ebenso ist es nicht gut gemeint, wenn einem Kapitän “gute Navigationskenntnisse”, einem Diplompädagogen “Einfühlungsvermögen in die sozialen Belange”, einem Ingenieur “technisches Verständnis” und einem Elektrotechniker “Verständnis für die Zusammenhänge des Energiekreises” attestiert werden. Diese Hinweise könnten aussagen, daß die betreffende Person über das selbstverständliche Basiswissen hinaus nicht allzu viel geboten hat.

4. Achtung

    Vorsicht bei allen lobpreisenden Formulierungen nach der Art von Politiker-, Jubiläums- oder Grabreden.

5. Checkliste

  • Verdeckte Kritik wird von vielen Arbeitnehmern im Zeugnis leichter akzeptiert, als direkte Kritik.
  • Verdeckte Kritik ist aber ebenso schädlich und vom Arbeitnehmer zu analysieren.
  • Kritik kann schon in einer veränderten Reihenfolge der Zeugniskomponenten enthalten sein, z.B. Sozialverhalten vor der Tätigkeitsbeschreibung.
  • Gleiches gilt hier für die Hochstilisierung von Selbstverständlichkeiten oder Banalitäten.
  • Gleiches gilt für die übermäßige Verwendung von schönen, aber inhaltsleeren Formulierungen, wie sie zum Teil in Politikerreden, Jubiläums- und Grabreden zu finden sind.

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Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug