Folge 53: Das Weglassen in der Zeugnissprache
Die Haupttechnik in dem Erstellen von Zeugnissen besteht darin, bestimmte unbequeme Wahrheiten und Aspekte im Zeugnis nicht aufzuführen. Dieses Weglassen entspricht der Pflicht des Arbeitgebers zur Erstellung eines
wohlwollenden Zeugnisses. Andererseits kann das Weglassen aber auch problematisch sein, weil es vielleicht den Wahrheitsgehalt verfälscht.
Der Fall:
Meister Pfriem beschäftigt den Kundendiensttechniker Rumpelstilzchen und die Chefsekretärin Rotkäppchen. Beide haben gekündigt. Beide wollen ein qualifiziertes Zeugnis. Meister Pfriem
weiß nicht genau, was er beim Zeugnis weglassen soll und darf und was wichtig für den Zeugnisinhalt ist. Am liebsten würde er alles hineinschreiben oder alles weglassen. Daß das nicht geht, ist ihm klar.
Die Lösung:
1. Weglassen und Vollständigkeitspflicht
Die Pflicht des Arbeitgebers zur Erstellung eines wohlwollenden Zeugnisses, das das Fortkommen der Arbeitnehmer nicht ungerechtfertigt hindert, führt dazu, daß bestimmte Vorkommnisse aus
dem Arbeitsverhältnis im Zeugnis keine Erwähnung finden dürfen. Mittlerweile hat sich eingebürgert, daß aufgrund der Probleme bei der Zeugniserteilung möglichst viel oder möglichst alles an negativen Aussagen
weggelassen wird. Dabei wird verkannt, daß ein Verbot auf Kritik im Zeugnisrecht nicht existiert. Allerdings darf zu Recht angenommen werden, daß der einzelne Arbeitnehmer die verdeckte Kritik einer offenen
Kritik im Zeugnis vorzieht. Die verdeckte Kritik läßt ihm bei Bewerbungen in der Zukunft jedenfalls größere Chancen. Andererseits widerspricht ein umfangreiches Weglassen von negativen Tatsachen der
Wahrheitspflicht, die in jedem Falle dem Grundsatz des Wohlwollens vorgeht. Außerdem widerspricht eine zu umfangreiche Praxis des Weglassens auch gegen den wichtigen Grundsatz der Vollständigkeit des Zeugnisses.
2. Weglassen ganzer Zeugniskomplexe
Im Einzelfall versucht der Arbeitgeber zur Vermeidung von Konflikten ganze Zeugniskomplexe unerwähnt zu lassen. Dies kann zum einen die Leistung und die Benotung betreffen. In manchen
Zeugnissen gibt es keine Benotung. Dies kann zum anderen aber auch das Führungsverhalten von Arbeitnehmern, insbesondere von Vorgesetzten betreffen. Schließlich fehlt in manchen Zeugnissen der gesamte Komplex
des Sozialverhaltens, d.h. des Verhaltens gegenüber Kollegen, Vorgesetzten und Außenstehenden/Kunden. Ein solches Weglassen ist problematisch. Das Zeugnis entspricht damit nicht den Voraussetzungen der
Rechtsprechung. In der Rechtsprechung wird in diesem Fall von einem “beredtem Schweigen” gesprochen. Mit diesem Weglassen sendet der Arbeitgeber klare Signale an den Empfängerhorizont. Sofern der Arbeitnehmer
dies beanstandet, muß das Zeugnis entsprechend ergänzt werden.
3. Tätigkeitsbeschreibung und Leistungsverhalten
Das Zeugnis soll ein getreues Spiegelbild der erbrachten Tätigkeiten und der Leistung sein. Das Weglassen bestimmter ausgeübter Tätigkeiten oder bestimmter Bewertungen kann eine
entsprechende Bedeutung haben oder so aufgefaßt werden:
fehlt die Benotung, so deutet dies auf eine besonders schlechte Arbeitsleistung hin,
bei Werbefachleuten, Kundenberatern, Konstrukteuren etc. sollte eine Bemerkung über ihre Kreativität enthalten sein, bei Kundendiensttechnikern, Organisatoren, Analytikern,
Naturwissenschaftlern kann eine Bewertung der systematischen Arbeitsweise erwartet werden,
bei EDV-Administratoren ist analytisches Denkvermögen wichtig,
bei Chefsekretärinnen, Personalsachbearbeitern, Buchhaltern etc. ist Zuverlässigkeit und Diskretion wichtig,
wichtig sind Bemerkungen über das Fachwissen eines Arbeitnehmers, über die Weiterentwicklung und Fortbildung, den Umfang des Fachwissens und seine Tiefe,
bei vielen Berufen ist der praktische Nutzen des eingebrachten Fachwissens für das Unternehmen wichtig,
bei Buchhaltern, Kraftfahrern, Bankangestellten, Erziehern etc. ist Zuverlässigkeit von großer Bedeutung,
bei Kraftfahrern und Maschinenbedienern ist die Unfallfreiheit, die Wahrung der Betriebssicherheit, die ordnungsgemäße Wartung der Maschinen wichtig,
Bemerkungen über die Arbeitsmenge und das Arbeitstempo sind in vielen Bereichen, z.B. bei Prämien- und Akkordarbeiten unabdingbar,
bei AT-Angestellten, Leitungspersönlichkeiten, Außendienstmitarbeitern etc. ist die Selbständigkeit von Bedeutung.
4. Führungsverhalten
Neben den Tätigkeiten im einzelnen und der Bewertung der Leistung ist auch das Führungsverhalten in vielen Berufsgruppen wichtig. Dies gilt für alle Mitarbeiter, die Untergebene zu
betreuen haben, ggf. auch freie Mitarbeiter oder Kunden führen müssen. Dabei ist insbesondere der Führungsstil und der Erfolg der Führungsarbeit für einen zukünftigen Arbeitgeber von Bedeutung.
Beispiel:
Durch seinen kollegialen Führungsstil hat er die Mitarbeiter seiner Abteilung zu neuen Leistungen und zu besonders guten Betriebsergebnissen in der Abteilung führen können.
Allerdings sollte die Bewertung nicht übertrieben werden, um nicht unglaubwürdig zu überziehen und ironisch zu klingen.
Beispiel:
Durch seinen herausragenden und kooperativen Führungsstil konnte er ein ausgezeichnetes Verhältnis zu allen seinen Mitarbeitern realisieren und das Abteilungsklima zu produktiven
Höchstleistungen führen.
Andere Formulierungen können katastrophal sein und auf fehlende Führungseigenschaften hinweisen.
Beispiel:
Gerade seine Mitarbeiter schätzten ihn als angenehmen und sehr umgänglichen Vorgesetzten.
Hier wird zum Ausdruck gebracht, daß eher die Untergebenen, als der Vorgesetzte geführt haben und daß die Untergebenen dem Vorgesetzten mehr oder weniger auf der Nase herumtanzten.
5. Sozialverhalten
Eine Aussage zum Sozialverhalten ist im Zeugnis unabdingbar und wichtig. Auch hier ist darauf zu achten, daß dies nicht zu gering geschätzt wird, andererseits aber auch nicht übertrieben wird.
Beispiel:
Das Verhalten gegenüber Vorgesetzten und Arbeitskollegen wie auch Kunden war jederzeit vorbildlich.
Diese normale und gut zu wertende Formulierung wird durch Übertreibungen ins Gegenteil verkehrt:
Um das Wohl seiner Mitarbeiter, insbesondere auch im privaten Bereich, kümmerte er sich ganz besonders.
Im Mitarbeiterkreis galt er als toleranter Kollege.
Insbesondere von den Mitarbeitern war er in herausragender Weise geschätzt worden (also nicht von den Vorgesetzten, von dem Arbeitgeber und von den Kunden).
6. Checkliste
- Weglassen problematischer Vorfälle etc. dient der Pflicht zur Erstellung eines “wohlwollenden” Zeugnisses.
- Weglassen darf aber nicht zur völligen Entstellung der Tätigkeit des Arbeitnehmers führen.
- Die Wahrheitspflicht und Vollständigkeitspflicht setzt dem Weglassen Grenzen.
- Weglassen von ganzen Komplexen (Benotung, Führungsverhalten, Umgang mit Vorgesetzten, Kollegen, Kunden, Organisationsvermögen etc.) ist möglich. Es signalisiert ein “beredtes Schweigen”.
- Für bestimmte Berufsgruppen werden bestimmte Eigenschaften, Fähigkeiten, Verhaltensweisen in der Branche erwartet / verlangt. Fehlen diese, so ist dies für den Leser eine klare Aussage.
- Bei Vorgesetzten ist das Führungsverhalten unerläßlich.
- Sozialverhalten sollte nicht fehlen.
- Überzogene, zu gute Bewertungen können das Zeugnis ins Gegenteil verkehren, machen jedenfalls mißtrauisch.
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