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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 343: Annahmeverzug II

Frage:

    Wenn ich gekündigt bin, weil mein Arbeitgeber keine Arbeit für mich hat, bin ich dann verpflichtet, in der Kündigungsfrist oder danach eine andere, auch geringwertigere Arbeit anzunehmen? Wenn ich den Kündigungsschutzprozeß gewinne, muß mir dann der Arbeitgeber den gesamten Lohn nachzahlen oder darf er mir das verrechnen, was ich durch andere Arbeit verdient habe oder hätte verdienen können?

Der Fall:

    Spediteur Edmund Hillary will das Mount Everest Base Camp mit Nahrungsmitteln und alpiner Literatur versorgen. In der Hoffnung auf die neu gebaute Straße stellt er den brotlosen Schriftsteller Uwe Johnson als Kraftfahrer ein.
    Nachdem der Bauunternehmer Francesco Petrarca erfolgreich eine Straße auf den Provencalischen Olymp Mont Ventoux gebaut hatte, baut er jetzt auch die neue Straße zum Mount Everest Base Camp. Wegen des legendären Fleißes der Deutschen stellte er den Straßenarbeiter Max Liebermann ein. Doch statt Schotter auf die Piste aufzubringen, malt Liebermann lieber berauscht die phantastischen Himalaya-Szenen in Öl. Petrarca kündigt deshalb Liebermann. Da Liebermann vor dem Arbeitsgericht Kathmandu klagt, bietet Petrarca ihm nach Ablauf der Kündigungsfrist eine Prozeßbeschäftigung als Straßenarbeiter für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses an. Liebermann malt trotzdem lieber Bilder und verkauft diese, da er als Impressionist damit mehr Geld verdienen kann, als im Straßenbau. Als Liebermann den Prozeß gewinnt und von Petrarca den Lohn nachgezahlt haben wollte, verrechnet Petrarca die Maleinkünfte mit dem Arbeitslohn und verweigert jede Zahlung. Liebermann ist irritiert.
    Da der Straßenbau nicht vorankommt und der einzige LKW von Sir Hillary von räuberischen Sherpas gestohlen wurde, spricht Hillary dem Kraftfahrer Uwe Johnson eine Änderungskündigung aus und bietet ihm an, als Lagerarbeiter in Kathmandu weiterzuarbeiten. Mangels Straße und LKW soll Johnson bereits in der Kündigungsfrist im Lager arbeiten.
    Das verweigert Uwe Johnson. Er besteht darauf, daß er in der Kündigungsfrist als LKW-Fahrer eingesetzt wird. Andernfalls sitzt er lieber träumend am Durbar Place in Katmandu und schreibt nepalesische Kurzgeschichten. Als Johnson für die Kündigungsfrist Lohn verlangt, um sich während des Geschichtenschreibens den Magen mit Hühner-Curry zu füllen, verweigert Sir Hillary die Lohnzahlung. Zu Recht?

Die Lösung:

3. Annahmeverzug

    Der Arbeitgeber gerät nach § 615 BGB in Annahmeverzug, wenn
    – ein erfüllbares Arbeitsverhältnis vorliegt,
    – der Arbeitnehmer seine Dienste oder seine Arbeitsleistung angeboten hat,
    – die Leistung der Arbeit im Zeitpunkt des Angebots für den Arbeitnehmer möglich ist und
    – der Arbeitgeber die Arbeit nicht annimmt.
    a. Tatsächliches, körperliches Arbeitsangebot
    Für das Arbeitsangebot gilt, daß der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung zur rechten Zeit, am rechten Ort und in der rechten Weise anbieten muß. Er muß in der Regel sich an der Arbeitsstelle einfinden und seine Arbeitsleistung konkret anbieten.
    b. Wörtliches Angebot
    Ein wörtliches Angebot der Arbeitsleistung reicht aus, wenn der Arbeitgeber ihm vorher erklärt hat, daß er die Arbeitsleistung nicht annehmen werde („Hau ab“), oder wenn zur Arbeitsleistung eine Mitwirkungshandlung des Arbeitgebers erforderlich ist (z.B. Abholen zur Baustelle). Eine Ablehnung der Arbeitsleistung liegt insbesondere im Falle einer Kündigung vor. Hier reicht es, daß der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung wörtlich oder durch Erhebung der Kündigungsschutzklage anbietet.
    c. Keine Pflicht zum Arbeitsangebot
    Ein wörtliches Angebot ist schließlich überflüssig, wenn dem Arbeitnehmer das Angebot nicht zumutbar ist. Dies ist dann der Fall, wenn der Arbeitgeber unmißverständlich erklärt, daß er in keinem Falle die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers noch annehmen werde, z.B. im Falle der fristlosen Kündigung, des Hausverbotes etc.
    d. Rechtsfolgen des Annahmeverzugs
    Die Rechtsfolge des Annahmeverzugs besteht darin, daß der Arbeitnehmer einerseits von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei wird. Er muß die Arbeitsleistung nicht später nachholen. Zum anderen kann der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber die vereinbarte Vergütung verlangen.
    Achtung: Allerdings muß sich der Arbeitnehmer nach § 615 Satz 2 BGB auf seinen Lohnanspruch den Wert dessen anrechnen lassen, was er durch eine anderweitige Verwertung seiner Arbeitsleistung erwirbt, was er durch das Unterlassen der Arbeitsleistung erspart hat oder was er im Falle des böswilligen Unterlassens hätte erwerben können. Dies wird miteinander verrechnet.
    Für die Fälle nach Ausspruch der Kündigung besteht für die Anrechnung anderweitigen Erwerbes die besondere Vorschrift des § 11 KSchG, die aber insoweit inhaltsgleich ist.
    e. Arbeitslosengeld/Hartz IV
    Abzuziehen von dem Verzugslohn sind auch öffentlich-rechtliche Leistungen infolge von Arbeitslosigkeit aus Sozialversicherung, Arbeitslosenversicherung etc. Insoweit besteht ein gesetzlicher Forderungsübergang. Der Arbeitgeber muß den Lohn in Höhe dieser Drittleistungen an den öffentlichen Geldgeber direkt abführen.

4. Böswilliges Unterlassen

    Der Arbeitgeber, der in Annahmeverzug ist, muß den vollen Lohn nachzahlen. Er darf aber anrechnen, was der Arbeitnehmer durch anderweitige Verwertung seiner Arbeitskraft erwirbt oder von der Sozialversicherung bekommt. Dabei nützt es dem Arbeitgeber nichts, wenn er die Hände in den Schoß legt und dem Nichtstun frönt. Der Arbeitnehmer ist vielmehr verpflichtet, jeden zumutbaren anderweitigen Erwerb zu tätigen. Es handelt sich hierbei um eine Art „Schadensminderungspflicht“.
    Deshalb darf der Arbeitgeber bei der Verrechnung das berücksichtigen, was der Arbeitnehmer verdient hätte, wenn der Arbeitnehmer es nicht böswillig unterlassen hätte, einer Arbeit nachzugehen. Böswillig in diesem Sinne handelt der Arbeitnehmer, der in Kenntnis der schädigenden Folge untätig bleibt, obwohl ihm die Tätigkeit ohne weiteres zumutbar ist. Böswillig handelt in diesem Sinne z.B. auch ein Arbeitnehmer, der es ablehnt, während des Verzuges des Arbeitgebers zu einem geringeren Stundenlohn zu arbeiten. In einem solchen Fall muß der Arbeitgeber lediglich den Unterschiedsbetrag zwischen dem geringeren Lohn und dem geschuldeten Lohn als Annahmeverzug bezahlen.
    Voraussetzung ist, daß der Arbeitnehmer die konkrete Möglichkeit hatte, einen anderweitigen Verdienst zu erzielen. Dafür ist im Streitfall der Arbeitgeber beweispflichtig.

5. Prozeßbeschäftigung

    Der Arbeitgeber Francesco Petrarca ist verpflichtet, den Arbeitnehmer Liebermann während der Kündigungsfrist vertragsgemäß zu beschäftigen und entsprechend zu bezahlen.
    Nach Ablauf der Kündigungsfrist besteht keine Beschäftigungspflicht mehr. Der Arbeitgeber kann aber dem Arbeitnehmer für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses anbieten, mit der bisherigen Arbeit oder auch einer anderen Arbeit bei ihm im Betrieb weiterzuarbeiten. Dies nennt die Fachwelt eine „Prozeßbeschäftigung“.
    Achtung: Es empfiehlt sich dringend, für die Zeit der Prozeßbeschäftigung eine schriftliche Vereinbarung abzuschließen. In dieser Vereinbarung wird einerseits die Tätigkeit und Vergütung vereinbart, andererseits muß der Endzeitpunkt kalendermäßig oder als auflösende Bedingung festgelegt werden.
    Der Arbeitgeber kann die im Prozeßbeschäftigungsverhältnis gezahlte Vergütung mit dem Lohn verrechnen, den er zahlen muß, falls er den Prozeß verliert.
    Lehnt der Arbeitnehmer diese Prozeßbeschäftigung ab, so kann es sich um ein böswillige Unterlassen handeln, wenn die Prozeßbeschäftigung dem Arbeitnehmer möglich und zumutbar war. Der fiktive Lohn, den er erzielen hätte können, wird ihm dann bei einem späteren Obsiegen in der Kündigungsschutzklage von den Lohnansprüchen bis zum obsiegenden Urteil abgezogen.
    Dies gilt vor allem dann, wenn der Arbeitgeber ihm eine vertragsgemäße Arbeit angeboten hat und der Arbeitnehmer keinen triftigen Grund hatte, diese abzulehnen.
    Sollte Max Liebermann im Kündigungsschutzprozeß gegen Petrarca obsiegen und Annahmeverzugslohn verlangen, so muß Liebermann dem Petrarca seine gesamten Einkünfte durch Malerei im fraglichen Zeitraum angeben. Petrarca darf diese mit dem Annahmeverzugslohn verrechnen. Sofern Petrarca eine Prozeßbeschäftigung mit der früheren Vergütung angeboten hat und Max Liebermann dies ablehnte, braucht Petrarca keinen Annahmeverzuglohn zahlen. Max Liebermann hätte dann diese neue Tätigkeit böswillig abgelehnt, sofern es sich um eine zumutbare Tätigkeit handelte.

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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug