|
|
|
Hans-Gottlob-Ruehle.de Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle |
|
|
|
|
Hans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen, Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D., gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.
|
|
|
Folge 253: Ethik-Regeln XIII – Denunziationspflicht? / Mitbestimmung / Datenschutz / Deutsche Sprache
Der Fall
Der globale Unternehmer Conny Rockefeller führt in seiner United Oil Company und in allen ausländischen Tochtergesellschaften Ethik-Richtlinien ein. Zur Meldung von Ethik-Verstößen
regelt er folgendes: „I. Sie werden aufgefordert, ethische Bedenken unverzüglich vorzubringen. Ihre Bedenken können Sie dem Vertrauens-Vorgesetzten vorbringen oder dem nationalen Ethik-Büro oder durch eine
vertraulich arbeitende anonyme Hotline. Wenn Ihre ethischen Bedenken trotz Meldung nicht gelöst werden, sollten Sie diese an anderer Stelle erneut vorbringen. II. Eine der wichtigsten Aufgaben aller
Mitarbeiter ist die Verpflichtung, die Beobachtung einer möglichen Verletzung der Ethik-Richtlinie oder der Gesetze zu melden. Sollten Sie eine Meldung unterlassen, so können Sie dem Unternehmen oder den
Mitarbeitern schaden. Deshalb ist jeder Mitarbeiter verpflichtet, jede bekannte oder vermutete Verletzung der Gesetze, gültiger Bestimmungen oder dieser Ethik-Regeln unverzüglich mitzuteilen.
III. Sie können die Meldung wie folgt vorbringen: – Nutzen Sie die Politik der Offenen Tür bei Ihrem Vorgesetzten. Dies ist der direkteste Weg, außer wenn Sie meinen, Ihr Vorgesetzter ist bei dem
Fehlverhalten beteiligt. Wenden Sie sich dann an die nächsthöhere Stelle, – oder kontaktieren Sie das Ethik-Büro, – oder benutzen Sie die Ethik-Hotline. Jede Niederlassung hat ein Telefon, mit dem Sie auf
vertraulicher und anonymer Basis Ihr Anliegen in der Zentrale in New York vorbringen können. IV. Jeder Angestellte, der in gutem Glauben über eine Mißachtung berichtet, braucht für diesen Bereich keine
negativen Konsequenzen zu fürchten.“ Der verarmte Jakob Fugger stellt in der Niederlassung Augsburg fest, daß ständig giftige Brühe in den Lech eingeleitet wird. Da er niemandem traut, meldet er die
Einleitungen unmittelbar der Umweltpolizei. Als Betriebsleiter Franz-Josef davon erfährt, spricht er sofort die fristlose Kündigung aus. Niederlassungsleiter Hermann von Salza teilt der Hotline in die USA
mit, daß der Personalchef Konrad von Marburg die Angestellte Elisabeth von Thüringen ständig durch Schläge auf den Popo züchtigt. Außerdem teilte er mit, daß deren Schwager Heinrich Raspe Drogen nimmt und
während der Arbeitzeit regelmäßig Mutterkorn kifft. Auf Anforderung faxt er die Krankenakte von Heinrich Raspe nach New York. Darauf hin setzt Rockefeller den Personalleiter Philipp von Schwaben in Bewegung,
um Raspe zu kündigen. Betriebsrat Konradin widerspricht aber der Kündigung, da das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Einführung der Ethik-Richtlinie mißachtet wurde. Nach Ansicht des Betriebsrats
ist alles unwirksam. Ein Kündigungsrecht scheidet deshalb aus. Auch sei der Datenschutz sei wegen der Personalakte von Heinrich Raspe verletzt. Conny Rockefeller findet diesen europäischen Bedenkenzirkus
einfach blöd und hinderlich. Der Betriebsrat Konradin bemängelt außerdem, daß die Rockefeller-Ethik-Richtlinien nur in englisch gehalten sind. Er besteht für das deutsche Tochterunternehmen und für den
deutschen Betriebsrat auf einer guten Übersetzung in deutsch. Rockefeller findet das überflüssig. Er geht davon aus, daß mittlerweile die ganze Welt englisch bzw. amerikanisch zu sprechen hat.
Die Lösung
4. Denunziationspflicht?
Sofern ein Arbeitnehmer entsprechend der Ethik-Richtlinien Meldung von tatsächlichen oder vermeintlichen Verstößen gegen die ethischen Grundsätze macht, ist er gegenüber dem Arbeitgeber
vor arbeitsvertraglicher Disziplinierung geschützt. Dies wird regelmäßig in Ethik-Richtlinien zugesichert. Der Arbeitnehmer muß sich jedoch davor hüten, vorsätzlich falsche Verdächtigungen oder Behauptungen
in die Welt zu setzen. Der falsch verdächtigte Arbeitnehmer hat gegenüber dem Arbeitgeber aus Gründen der Fürsorgepflicht den Anspruch, dagegen vorzugehen und mit Abmahnung oder Kündigung zu reagieren.
Allerdings muß dem dann gerügten Mitarbeiter nachgewiesen werden, daß er nicht leichtfertig, vorsätzlich oder wider besseres Wissen seine Anzeige durchgeführt hat. Hermann von Salza hat den züchtigenden
Konrad von Marburg angezeigt, wie auch den kiffenden Heinrich Raspe. Sofern Hermann von Salza für seine Anzeige Verdachtsmomente oder Anhaltspunkte hatte, die nachvollziehbar sind, wäre seine Anzeige
arbeitsvertraglich nicht zu beanstanden. Fraglich ist jedoch, ob Arbeitgeber Rockefeller die Mitarbeiter in Deutschland verpflichten kann, über ihre vertragliche Schadensabwendungspflicht hinaus
Arbeitskollegen bei Verdacht oder Verstoß gegen Ethik-Richtlinien anzuzeigen. Im Zweifel besteht eine solche Anzeigepflicht nicht. Der Arbeitgeber ist nicht berechtigt, Arbeitnehmer per Direktionsrecht zur
Denunziation zu verpflichten. Zu berücksichtigen ist auch, daß diese Art der Denunziation zwischen den Mitarbeitern ein Klima des Mißtrauens und der Angst hervorruft. Dieses Herrschaftsinstrument ist in der
Vergangenheit bei Hexenverfolgungen über die Republik Venedig bis in die jüngste deutsche Vergangenheit immer wieder benutzt worden. Das Arbeitsgericht kann zwar solche Aufforderungen des Arbeitgebers nicht
verhindern. Andererseits aber besteht nach der bisherigen Rechtsprechung jedenfalls keine Pflicht, über die normale Schadensabwendungspflicht hinaus Mitarbeiter anzuschwärzen, zu verpfeifen, oder aufgrund von
Indizien zu verdächtigen. Davor ist vor allem dann dringend zu warnen, wenn der anzeigende Arbeitnehmer keine ausreichenden oder schlüssigen Beweise für seine Behauptungen in der Hand hat.
5. Mitbestimmung des Betriebsrats
Im Falle von Whistleblowing-Klauseln kommt dem Betriebsrat eine immens wichtige Kontrollfunktion zu. Er allein ist in der Lage, solche Ansinnen des Arbeitgebers in zumutbare,
zivilisierte Kanäle zu lenken und die Interessen aller Seiten, des Arbeitgebers, des anzeigenden Kollegen und des Angezeigten ausreichend und vernünftig abzuwägen. Fraglich ist, ob die Meldung eines Verstoßes
durch einen Mitarbeiter ein Handeln im Rahmen der arbeitsvertraglichen Verpflichtungen darstellt, oder ein mitbestimmungspflichtiges Ordnungsverhalten. Soweit der Mitarbeiter aufgrund seiner
Schadensminderungspflicht oder Schadensvermeidungspflicht gehalten ist, einzugreifen und ggf. Fehlhandlungen zu melden, handelt er im Rahmen der arbeitsvertraglichen Verpflichtung. Insoweit besteht kein
mitbestimmungspflichtiger, durch Betriebsvereinbarung zu regelnder Sachverhalt. Geht der Mitarbeiter jedoch über seine arbeitsvertragliche Schadensvermeidungspflicht hinaus und erweist er dem Arbeitgeber
Gefälligkeiten, zu denen er per Arbeitsvertrag nicht verpflichtet ist oder verpflichtet werden kann, so liegt m.E. ein Ordnungsverhalten vor, das stets mitbestimmungspflichtig ist. In jedem Fall besteht
jedoch ein Mitbestimmungsrecht dann, wenn der Arbeitgeber ein bestimmtes Verfahren zur Meldung von Verstößen vorschreibt, wie im vorliegenden Falle. Wenn der Arbeitgeber ein Procedere vorgibt, wie die Meldung an
Vorgesetzte, an ein Ethik-Büro oder gar über eine anonyme Hotline, so legt er ein Verfahren fest, das das betriebliche Zusammenwirken der Arbeitnehmer und damit die betriebliche Ordnung im Sinne des § 87 Abs. 1
Nr. 1 Betriebsverfassungsgesetz betrifft. Der mitbestimmungspflichtige Tatbestand liegt in der an alle Arbeitnehmer gerichteten verbindlichen Anordnung, bei einem festgestellten oder möglichen Verstoß gegen die
Ethik-Richtlinie an eine von 3 Stellen zu melden. Eine solche Verfahrensregelung unterliegt nach der Rechtsprechung der Mitbestimmung.
>> Nächste Folge << Zurück zur Übersicht
|
|
|
Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle: Reine Linkverweise ohne Einschränkung/Begrenzung. Bitte kopieren Sie dazu die URL aus der Browserzeile.
Wörtliche Textzitate: Ohne Rücksprache bis 2 Absätze aus bis zu 10 Folgen jew. mit Linkverweis. Weitergehende Textübernahmen nur mit schriftlicher Genehmigung. Wichtiger Hinweis:
Bitte keine e-mails mit konkreten Rechtsfragen einsenden, da diese nicht beantwortet werden können.
|
Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:
|
Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
|
|
|
|
|
|
Arbeitsrecht von H.G. Rühle
Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen: Folge 1 - 100 Folge 101 - 200 Folge 201 - 300 Folge 301 ff.
|
Folgenübersicht:
|
1 - 12: Freie Bewerberauswahl? Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch
13 - 24: Psych. Gutachten Gentest Assessment Center Neues Befristungsrecht /
Teilzeitarbeit (TzBfG)
25 - 36: Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG) Neues im Erziehungsrecht
37 - 48: Berufsschule/Freistellung Dumpinglöhne Kündigung/soz. Aspekte Mobbing
49 - 60: Das Arbeitszeugnis Zeugnisgrundsätze Zeugnissprache Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung
61 - 72: Kündigung/Kopftuchtragen Blutuntersuchungen
73 - 84: Abmahnung Andere Sanktionen
85 - 96: Betriebl. Altersversorgung Betriebsrente “Riester-Rente”
Entgeltumwandlung
97 - 108: Forts. “Riester-Rente” Weihnachtsgratifikation Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen Krankheitsvertretung
109 - 120: Lohngrundsätze I-V Nebentätigkeitsverbot Mobbing I-VI
121 - 132: Kündigung - was tun? Checkliste
133 - 144: Kündigung - was tun? Soll ich klagen? Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?
145 - 156: Neues Kündigungsrecht 2004
157 - 168: Neues Kündigungsrecht Sozialauswahl Klagefrist Neuregelung TzBfG
169 - 180: Hartz IV Ein-Euro-Job
181-192: Ein-Euro-Job Forts. Ausgleichsquittung / unzulässiger Lohnverzicht
193 - 204: Betriebsausflug Elternzeit Betriebsübergang
205 - 216: Betriebliche Mitarbeiterkontrollen Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz
217 - 228: Neue Gewerbeordnung Gebetspausen
228 - 240: Neue Sperrzeitprobleme Beendigungsvergleich
241 - 252 Ethik-Regeln I-XII
253 - 264 Hitzeregelungen Internetnutzung (Kündigung)
265 - 276 Nebentätigkeiten Arbeit auf Abruf
277 - 288 Arbeitslosengeld - Sperrfrist Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld
289 - 300 Arbeitsrechtliche Schwellenwerte Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
301 - 312 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
313 - 323 Sittenwidrige Vergütung
324 - 335 Schutz der behinderten Menschen
336 - 347 Schutz der behinderten Menschen Annahmeverzug
|
|
|