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Hans-Gottlob-Ruehle.de Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle |
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Hans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen, Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D., gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.
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Folge 160: Neue Sozialauswahl III
Der Fall:
Unternehmer Don Giovanni muß sein Musiktheater aus wirtschaftlichen Gründen personell verkleinern. Wem kann und soll er kündigen? Der Geiger Vivaldi
war schon bei seinem Vater Don Vito beschäftigt. Der quicklebendige junge Geiger Strauß ist aber wichtig für die Stimmung. Die Tänzerinnen Mimi, Musette und Aida sind alle gleich jung. Aida ist jedoch
schwerbehindert und Mimi hat vom Stehgeiger Puccini 2 Kinder. Musette will Don Giovanni nicht gehen lassen, weil sie so hübsch ist. Wäre es einfacher, das ganze Ballett abzuschaffen und alle Tänzerinnen zu
kündigen?
Die Lösung
Die vom Gesetzgeber in § 1 Absatz 3 KSchG genannten Kriterien der Sozialauswahl scheinen klar und einfach zu sein. Dies kann jedoch im Einzelfall ein
großer Irrtum sein. Deshalb müssen diese Kriterien kurz beleuchtet werden.
1. Dauer der Betriebszugehörigkeit
Entscheidend ist die Dauer des (letzten) Arbeitsverhältnisses mit diesem Arbeitgeber. Dabei zählt ein Ausbildungsverhältnis nicht mit, da es sich dabei
nicht um ein Arbeitsverhältnis handelte. Für die Dauer des Arbeitsverhältnisses ist es ohne Bedeutung, ob dieses Arbeitsverhältnis tatsächlich geruht hat, z.B. durch Wehrdienst, Elternzeit, Sonderurlaub o.ä.
Es zählt allein der rechtliche Bestand des Arbeitsverhältnisses. Bei einem rechtsgeschäftlichen Betriebsübergang zählen die Vordienstzeiten beim früheren Arbeitgeber mit. Nach § 613 a BGB tritt nämlich der
Betriebserwerber in die Rechte und Pflichten aus den bei Betriebsübergang bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Das Arbeitsverhältnis ist nicht unterbrochen worden. Problematisch ist der Fall, wenn ein
Arbeitsverhältnis nicht nur tatsächlich durch Ruhen, sondern auch rechtlich unterbrochen wurde, z.B. durch Kündigung, Aufhebungsvertrag oder Befristung. Wenn dann ein späteres Arbeitsverhältnis mit demselben
Arbeitgeber begründet wird, so zählen diese Vordienstzeiten generell bei der Sozialauswahl nicht mit. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Vordienstzeiten aufgrund vertraglicher Vereinbarung angerechnet werden.
Dann müssen sie berücksichtigt werden. Dies könnte z.B. bei Handwerkern mit witterungsbedingter Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses der Fall sein.
2. Lebensalter
Normalerweise ist das Lebensalter eines Mitarbeiters kein Problem. Es ist standesamtlich oder durch Ausweis festzustellen. Es empfiehlt sich für
Arbeitnehmer hier nicht, sich jünger zu machen. Dagegen ist bei ausländischen Arbeitnehmern das Lebensalter nicht immer so ohne weiteres feststellbar. Dies gilt vor allem dann, wenn keine ausreichenden
amtlichen Ausweise oder Nachweise vorliegen. Außerdem kommt es immer wieder vor, daß aufgrund amtlicher oder gerichtlicher Verfahren in den Heimatländer das Lebensalter ausländischer Mitarbeiter nachträglich
korrigiert wird (mit der Folge, daß z.B. eine frühere Rentenbezugsberechtigung entsteht). Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist grundsätzlich das Lebensalter entscheidend, das der Arbeitnehmer
gegenüber der Sozialversicherung oder dem Arbeitgeber bei der Einstellung angegeben hat. Für den Arbeitgeber ist im Rahmen der betriebsbedingten Kündigung das Lebensalter entscheidend, das ihm vom
Arbeitnehmer bekanntgegeben wurde. Der Arbeitnehmer ist daran festzuhalten. Korrigiert der Arbeitnehmer im Laufe der Beschäftigungsdauer durch amtliche Nachweise sein Lebensalter, so wäre das korrigierte
Lebensalter bei der Sozialauswahl zugrunde zu legen.
3. Unterhaltspflichten
Die vom Arbeitgeber zu berücksichtigenden Unterhaltsverpflichtungen der Mitarbeiter sind ein Dauerproblem im Rahmen der Sozialauswahl. Der Gesetzgeber
wollte damit die familiären Belastungen des Arbeitnehmers im Rahmen der Kündigung berücksichtigt wissen. Wer höhere Unterhaltsleistungen zu tragen hat, ist sozial schutzwürdiger. Daraus folgt, daß im Sinne
des Gesetzes nur die Unterhaltspflichten zu verstehen sind, die im Familienverband aus den gesetzlichen Regelungen sich ergeben. Danach bestehen Unterhaltspflichten in der geraden Linie. Dies bedeutet, daß
Eltern für ihre Kinder und Kinder für ihre Eltern, aber auch Enkel für ihre Großeltern oder Großeltern für ihre Enkel unterhaltspflichtig werden können. Entscheidend ist jedoch die tatsächliche
Unterhaltsverpflichtung aufgrund der gegebenen Lage. Unterhaltspflichten für die Eltern entstehen nur, wenn diese bedürftig sind und umgekehrt. Regelmäßig sind daher die Unterhaltspflichten zwischen Ehegatten
und Eltern und Kindern von Bedeutung. Gesetzliche Unterhaltsverpflichtungen bestehen zwischen Lebenspartnerschaften nicht. Sie werden deshalb bisher nicht berücksichtigt. Auch moralische
Unterhaltsverpflichtungen aus Tradition, fremdländischen Sitten und Gebräuchen sind nicht zu berücksichtigen. Gerade in außereuropäischen Ländern bestehen vielfältige Unterhaltspflichten, die oft durch Tradition
gewachsen sind. Daran wollte sich der Gesetzgeber nicht orientieren. Letztlich werden nach bisherigem Recht die Unterhaltsregelungen des BGB, d.h. Unterhaltspflichten nach deutschem Recht zugrunde gelegt.
Deshalb sind auch tatsächliche Unterhaltsleistungen von Stiefeltern gegenüber ihren Stiefkindern in der Regel nicht im Rahmen der Sozialauswahl zu berücksichtigen. Soweit die Unterhaltsberechtigten aber
eigene Einkommen haben, oder anderweitig Unterhaltsleistungen beziehen, wäre dies ggf. zu berücksichtigen. Dies ist besonders engagiert im Bereich des Ehegatteneinkommens diskutiert worden (sog.
Doppelverdienst). Der Gesetzgeber wollte jedoch nicht diejenigen schützen, die ohnehin schon einen ausreichenden Schutz oder ein ausreichendes Einkommen genießen.
4. Ermittlung der Kriterien
Gerade bei den Unterhaltsverpflichtungen ist der Arbeitgeber oft nicht in Besitz der genauen Daten. Der Arbeitgeber ist im Zweifel verpflichtet, die
entsprechenden Unterhaltskriterien zu ermitteln. Auf Befragung sind die Arbeitnehmer verpflichtet, wahrheitsgemäße Auskünfte zu geben. Die Daten können sich aus den Personalunterlagen, der Lohnsteuerkarte
etc. ergeben. Es ist jedoch immer zu bedenken, daß diese Daten z.T. veraltet sind, z.T. die tatsächliche Lage auch nicht vollständig darstellen. Empfehlung:
Der Arbeitgeber kann bei Einstellung die Sozialdaten abfragen und den Arbeitnehmer bei schriftlicher Belehrung und Unterschrift Änderungen im Bereich der Sozialdaten mitzuteilen. Unterläßt der Arbeitnehmer dies dann später, könnte dies zu seinen Lasten gehen. Der Arbeitgeber kann aber auch in regelmäßigen Abständen entsprechende Umfragebögen durch die Arbeitnehmer ausfüllen lassen.
5. Schwerbehinderung Dieses Kriterium wird in der nächsten Folge besprochen.
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:
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Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
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Arbeitsrecht von H.G. Rühle
Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen: Folge 1 - 100 Folge 101 - 200 Folge 201 - 300 Folge 301 ff.
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Folgenübersicht:
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1 - 12: Freie Bewerberauswahl? Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch
13 - 24: Psych. Gutachten Gentest Assessment Center Neues Befristungsrecht /
Teilzeitarbeit (TzBfG)
25 - 36: Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG) Neues im Erziehungsrecht
37 - 48: Berufsschule/Freistellung Dumpinglöhne Kündigung/soz. Aspekte Mobbing
49 - 60: Das Arbeitszeugnis Zeugnisgrundsätze Zeugnissprache Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung
61 - 72: Kündigung/Kopftuchtragen Blutuntersuchungen
73 - 84: Abmahnung Andere Sanktionen
85 - 96: Betriebl. Altersversorgung Betriebsrente “Riester-Rente”
Entgeltumwandlung
97 - 108: Forts. “Riester-Rente” Weihnachtsgratifikation Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen Krankheitsvertretung
109 - 120: Lohngrundsätze I-V Nebentätigkeitsverbot Mobbing I-VI
121 - 132: Kündigung - was tun? Checkliste
133 - 144: Kündigung - was tun? Soll ich klagen? Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?
145 - 156: Neues Kündigungsrecht 2004
157 - 168: Neues Kündigungsrecht Sozialauswahl Klagefrist Neuregelung TzBfG
169 - 180: Hartz IV Ein-Euro-Job
181-192: Ein-Euro-Job Forts. Ausgleichsquittung / unzulässiger Lohnverzicht
193 - 204: Betriebsausflug Elternzeit Betriebsübergang
205 - 216: Betriebliche Mitarbeiterkontrollen Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz
217 - 228: Neue Gewerbeordnung Gebetspausen
228 - 240: Neue Sperrzeitprobleme Beendigungsvergleich
241 - 252 Ethik-Regeln I-XII
253 - 264 Hitzeregelungen Internetnutzung (Kündigung)
265 - 276 Nebentätigkeiten Arbeit auf Abruf
277 - 288 Arbeitslosengeld - Sperrfrist Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld
289 - 300 Arbeitsrechtliche Schwellenwerte Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
301 - 312 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
313 - 323 Sittenwidrige Vergütung
324 - 335 Schutz der behinderten Menschen
336 - 347 Schutz der behinderten Menschen Annahmeverzug
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