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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 299: AGG VI –Benachteiligung wegen Religion, Weltanschauung, Rasse und ethnischer Herkunft

Frage:

    Wann darf ich eine Bewerberin oder einen Arbeitnehmer wegen seiner Religion oder Weltanschauung bei der Einstellung oder Beförderung ablehnen? Ich bin Farbiger. Darf deshalb meine berufliche Entfaltung behindert werden? Können mein Arbeitgeber und meine Arbeitskollegen mich nur deshalb ablehnen, weil ich ein Kopftuch trage?

Der Fall:

    Die Psychologin und Nonne Hildegard von Bingen bewirbt sich bei der modernen Firma Marbach-Valley-Corporation. Sie wird abgelehnt, weil ihre altmodische Nonnentracht nicht ins Bild der IT-Elite paßt. Fatima Saud möchte in einem Kaufhaus arbeiten. Der Personalchef lehnt ab, weil ihr Kopftuch Kunden abschrecken könnte.
    Der ergraute Friedrich Engels bewirbt sich als Langzeitarbeitsloser für einen Pförtnerposten im katholischen Altersheim. Der Vorstand lehnt ihn ab, weil unverbesserliche Marxisten in einer solchen Einrichtung Fehl am Platze sind. Der Farbige Othello will in einer Kneipe bedienen. Der Gastwirt lehnt ab, weil er nur hellhäutige Europäer beschäftigt.
    Gottlieb Daimler bewirbt sich bei einer oberbayerischen Molkereigenossenschaft. Die bayerischen Bauern lehnen die Beschäftigung von Schwaben ab, weil allein bei deren Anblick die Milch sauer wird. Baruch Spinoza ist Außendienstmitarbeiter. Er bewirbt sich für ein neues Verkaufsgebiet in Asien. Arbeitgeber Nasser lehnt dies ab, weil er befürchtet, daß jüdische Verkäufer in Asien wegen ihrer Abstammung schlechte Geschäfte machen.

Die Lösung:

1. Zulässige Benachteiligung wegen Religion/Weltanschauung

    In § 9 AGG ist geregelt, daß Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften in den ihnen zugeordneten Einrichtungen eine Benachteiligung Andersgläubiger durchführen dürfen, wenn dies unter Beachtung ihres Selbstverständnisses und nach der Art der Tätigkeit beruflich gerechtfertigt ist.
    Darüber hinaus kann jede Weltanschauungsgemeinschaft oder Religion von ihren Beschäftigten ein loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses verlangen.
    Schließlich ist eine unterschiedliche Behandlung nach § 8 AGG zulässig, wenn die Diskriminierung wegen Zweck und Art der auszuübenden Tätigkeit rechtmäßig und angemessen ist.
    Dieses Privileg der Religionen und Weltanschauungen und ihrer Unternehmungen bezieht sich aber in erster Linie nur auf Tendenzträger, die im Rahmen ihrer Tätigkeit auch mit der Verkündigung und Weiterverbreitung ihrer Religion oder Weltanschauung durch Wort oder Tat oder beispielhafte Tätigkeit zu tun haben. Mitarbeiter, die lediglich untergeordnete Bedeutung haben und die Tendenz der Religion oder der Weltanschauung nicht nach außen tragen, sind davon nicht betroffen.
    Aus diesem Grunde ist es nicht zulässig, wenn Friedrich Engels allein wegen seiner marxistischen Einstellung für den Pförtnerposten im konfessionellen Altersheim abgelehnt wird. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn der Pförtner darüber hinaus die Aufgaben hätte, im Rahmen von „Seelenpflege“ erbauende tröstende religiöse Gespräche mit den Heiminsassen zu führen.
    Es wäre z.B. auch nicht zulässig, eine Putzfrau wegen der falschen Religion oder Weltanschauung in einem solchen Unternehmen abzulehnen. Andererseits aber kann der Träger der Einrichtung verlangen, daß Kindergärtnerinnen, Sozialarbeiter, Therapeuten, Hausleiter, Psychologen, Betreuungskräfte etc. die Tendenz des Unternehmens teilen.

2. Keine Rechtfertigung der Diskriminierung wegen Religion/Weltanschauung

    Aus der Vorschrift des § 9 AGG folgt im Umkehrschluß, daß außerhalb der Weltanschauungsgemeinschaften eine unterschiedliche Behandlung oder Benachteiligung wegen der Religion generell untersagt ist. Aus diesem Grunde ist es nicht zulässig, daß Hildegard von Bingen alleine wegen ihrer Nonnentracht in dem modernen IT-Unternehmen abgelehnt wird. Dies gilt jedenfalls solange, wie die Nonnentracht ihre Tätigkeit als Psychologin nicht beeinträchtigt.
    Auch das islamische Kopftuch von Fatima Saud ist kein Grund, sie als Verkäuferin im Kaufhaus abzulehnen. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist alleine die Vermutung, daß die Kunden eine solche Verkäuferin ablehnen könnten, nicht geeignet, die Mitarbeiterin Fatima zu diskriminieren.
    3. Politische Tendenzunternehmen
    Nach bisheriger Rechtsprechung konnten Tendenzunternehmen der politischen Parteien oder der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände verlangen, daß ihre Mitarbeiter auch ihre weltanschaulichen, gewerkschaftlichen, politischen oder marktwirtschaftlichen Überzeugungen teilten. Da in § 9 AGG politische Tendenzunternehmen nicht aufgeführt sind, kann gefolgert werden, daß nach der neuen Rechtslage diese Tendenzunternehmen nicht mehr verlangen können, daß sich ihre Beschäftigten mit ihrer politischen Ausrichtung identifizieren müssen.
    Aus diesem Grunde ist z.B. im Bewerbungsgespräche die Frage nach der politischen Überzeugung oder Mitgliedschaft in politischen Parteien und sonstigen Organisationen in Zukunft jedenfalls höchst problematisch.
    Achtung: Dies gilt auch für Presseunternehmen mit politischen Tendenzen. Die Chefredaktion kann einerseits verlangen, daß die Redakteure und Mitarbeiter die politischen Tendenzen des Blattes in der Berichterstattung nicht konterkarieren bzw. sich entsprechend einordnen. Dies bedeutet aber nicht, daß die Mitarbeiter dieses Tendenzen auch in ihrem privaten Bereich nach ihrer privaten Überzeugung vertreten müßten.

4. Gerechtfertigte Benachteiligung wegen Rasse/ethnischer Herkunft

    Die Ablehnung eines Bewerbers oder Mitarbeiters alleine wegen seiner Rasse oder ethnischen Herkunft ist nach § 8 AGG nur zulässig, wenn eine andere Rasse oder ethnische Herkunft aufgrund der Art der auszuübenden Tätigkeit wesentlich und erforderlich ist und die Anforderung rechtmäßig und angemessen ist.
    In der Praxis ist es nur schwer vorstellbar, daß eine Differenzierung wegen Rasse oder ethnischer Herkunft gerechtfertigt ist.
    Im Fall des Außendienstmitarbeiters Baruch Spinoza reicht es jedenfalls nicht aus, zu vermuten, daß in Asien ein jüdischer Verkäufer, dessen Herkunft im Zweifel noch nicht einmal bekannt ist, schlechtere Geschäfte mache. Hier liegt eine ungerechtfertigte Diskriminierung vor.
    Dasselbe gilt für die Bewerbung von Othello. Kein Gastwirt kann sich darauf berufen, daß er nur weiße, farbige, schwarze oder andere Mitarbeiter einstellt. Auch die Kundenerwartungen stellen insoweit keine wesentliche oder entscheidende berufliche Anforderung dar.
    Schließlich kann die ethnische Herkunft des Schwaben Gottlieb Daimler kein Grund sein, in Bayern mit einem Beschäftigungsverbot belegt zu werden. Zumindest die Milch von glücklichen Kühen wird beim Anblick von Schwaben nicht generell sauer.
    Achtung: Denkbar wäre es aber, daß z.B. landsmannschaftlich ausgerichtete Dienstleistungsbetriebe im Kundenbereich nur passende Mitarbeiter einstellen.
    Beispiele: Im Cinarestaurant sollen nur chinesische Mitarbeiter, in der Bayernstube nur passende Dirndl- und Lederhosenträger mit bayerischer Aussprache eingestellt werden.

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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug