Hans-Gottlob-Ruehle.de
Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 285: Überstunden/Verfallfrist III

Der Fall

    Heidschnuckenschäfer Hermann Löns war bei dem Jungunternehmer Emil von Behring als Landschaftspfleger angestellt, um die Grünanlagen rund um das gesamte Firmengelände und die Produktionsanlagen mit seinen Heidschnucken in Ordnung zu halten.
    Im schriftlichen Arbeitsvertrag war ein Gehalt von 2.500 Euro brutto monatlich bei 40 Wochenarbeitsstunden geregelt. Außerdem war vereinbart, daß mit diesem Gehalt sämtliche Überstunden, egal welcher Art und aus welchem Grunde, abgegolten seien.
    In § 15 des Arbeitsvertrages war außerdem eine Ausschlußklausel geregelt. Danach war der Arbeitnehmer verpflichtet, sämtliche Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis nach Fälligkeit schriftlich innerhalb eines Monats geltend zu machen. Andernfalls sollen diese Ansprüche verfallen.
    Als Hermann Löns im Frühsommer mit seinen Heidschnucken in der Sonne so still vor sich hin träumte, erhielt er die schneidige Anweisung des Betriebsleiters Doc Holiday, sich die nächsten Wochen über das normale Maß hinaus kräftig ins Zeug zu legen, um die Außenanlagen für den Tag der Offenen Tür der Behringwerke Tiptop auf Vordermann zu bringen. Löns und seine Schafe knieten sich kräftig ins Gras. Zur Erfüllung des Auftrages leistete Löns im Juni 262 Stunden, im Juli 270 Stunden.
    Als die Herbstnebel durch das Lahntal zogen, kam dem still vor sich hin sinnierenden Heidschnuckenschäfer die Idee, daß er wenigstens einen Teil seiner Überstunden bezahlt bekommen müsse. Er machte deshalb mit Schreiben vom 20.11. die Bezahlung aller Überstunden geltend, die über 216 Monatsstunden hinaus gingen. Außerdem wollte er einen Zuschlag von 25 % auf die Überstunden.
    Unternehmer Emil von Behring ist der Ansicht, daß ein Überstundenanspruch wegen der vertraglichen Regelung generell nicht besteht. Außerdem wäre ein solcher Anspruch durch die arbeitsvertragliche Ausschlußfrist verfallen und untergegangen. Doch der von Hermann Löns eingeschaltete Rechtsanwalt Dr. Eisenbart fackelte nicht lange und erhob Klage. Mit Erfolg?

Die Lösung

13. Schriftliche Geltendmachung

    In der Regel wird sowohl in den tariflichen wie auch arbeitsvertraglichen Verfallregelungen eine schriftliche Geltendmachung der Ansprüche verlangt. Dies ist aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit sehr wichtig.
    Schriftliche Geltendmachung bedeutet jedoch nicht nur die Geltendmachung des Anspruches per Schriftstück. Darüber hinaus ist der Anspruch nach ständiger Rechtsprechung in solchen Fällen auch klar beziffert oder bezifferbar zu benennen. Nur die schriftliche, bezifferte Geltendmachung erfüllt diese Voraussetzungen.
    Achtung: In einzelnen Tarifverträgen oder Arbeitsverträgen ist eine zweistufige Ausschlußfrist vorgesehen. Nach schriftlicher Geltendmachung und Ablehnung wird verlangt, daß der abgelehnte Anspruch dann binnen einer gewissen Frist, oft 2 Monate, gerichtlich eingeklagt werden muß. Andernfalls geht der Anspruch wiederum unter.

14. Fristbeginn ab Fälligkeit

    In der Ausschlußklausel des Arbeitsvertrags von Hermann Löns wird der Fristbeginn zur Geltendmachung des Anspruchs durch die Fälligkeit in Gang gesetzt. So sind auch die tariflichen Ausschlußfristen regelmäßig ausgestaltet.
    Dem gegenüber beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist von 3 Jahren nach § 199 BGB erst mit dem Schluß des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist.
    Die in Ausschlußklauseln viel kürzere Frist in Verbindung mit der Fälligkeit stellt jedoch keine unangemessene und rechtswidrige Benachteiligung der Arbeitsvertragspartner dar. Daß der Lauf der Ausschlußfrist bereits mit der Fälligkeit des Anspruches beginnt, entspricht dem Zweck der Ausschlußfrist, rasch Rechtsklarheit zu schaffen.
    Achtung: Ein Anspruch ist regelmäßig erst dann im Sinne der Ausschlußfrist fällig, wenn der Gläubiger ihn annähernd beziffern kann.

15. Unzulässige Frist unter 3 Monaten

    Mit den neuen schuldrechtlichen Regelungen der §§ 305 ff BGB ist die frühere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur zulässigen Dauer der Ausschlußfrist hinfällig. Nach früherer Rechtsprechung war es möglich, daß sich die Arbeitsvertragsparteien auch an den z.T. sehr kurzen Ausschlußfristen der Tarifvertragsparteien von 1 oder 2 Monaten orientieren durften.
    Nach der neuesten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist jedoch die Frist für eine erstmalige Geltendmachung von weniger als 3 Monaten für arbeitsvertragliche Ansprüche unangemessen kurz. Diese zu kurze Frist führt zur Unwirksamkeit der Klauselregelung.
    Dies gilt insbesondere für alle Arbeitsverträge, die formularmäßig erstellt wurden und deshalb als „Allgemeine Geschäftsbedingungen“ (AGB) im Sinne der §§ 305 ff BGB gelten. Davon ist auch immer auszugehen, wenn der Arbeitgeber den Text des Arbeitsvertrages vorgegeben hat.
    Nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB sind alle Bestimmungen mit formularmäßigen Arbeitsverträgen oder Arbeitsverträgen, die vom Arbeitgeber inhaltlich bestimmt wurden unwirksam, wenn diese Bedingungen den Vertragspartner entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen.
    Das BAG geht davon aus, daß eine kurze einzelvertragliche Verfallfrist von 1 oder 2 Monaten mit den wesentlichen Grundgedanken des gesetzlichen Verjährungsrechtes nicht vereinbar sei. Die Rechtsposition des Vertragspartners sei so erheblich eingeschränkt, daß diese Regelung eine unangemessene Benachteiligung im Sinne des § 307 BGB darstelle.
    Nach der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts ist für die bezifferte schriftliche Geltendmachung eines Vergütungsanspruchs eine Mindestfrist von 3 Monaten erforderlich. Dies bedeutet, daß eine Ausschlußfristenregelung im Arbeitsvertrag nur dann rechtswirksam ist, wenn die Ausschlußfrist zur Geltendmachung von Ansprüchen 3 Monate nicht unterschreitet.
    Die im Arbeitsvertrag von Hermann Löns vorgesehene kürzere Ausschlußfrist von 1 Monat ist damit unheilbar wirksam. Sie kann nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht angepaßt werden, sondern entfällt ersatzlos. Emil von Behring kann sich nicht auf den Verfall des Anspruches berufen.

16. Einseitige Verfallfrist

    Nach ständiger Rechtsprechung ist auch eine einseitige Verfallfrist unzulässig, nach der ausschließlich der Arbeitnehmer seine Ansprüche binnen einer bestimmten Ausschlußfrist geltend machen muß, nicht aber der Arbeitgeber.

17. Merke:

    Eine einzelvertragliche Ausschlußfrist, die die schriftliche Geltendmachung aller Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb einer Frist von weniger als 3 Monaten ab Fälligkeit verlangt, benachteiligt unangemessen entgegen den Geboten von Treu und Glauben und schränkt wesentliche Rechte so erheblich ein, daß die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist. Diese Ausschlußfrist ist aufgrund der unangemessenen Kürze rechtsunwirksam. Sie fällt ersatzlos weg.

>> Nächste Folge
<< Zurück zur Übersicht

 

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
Linkverweise ohne Einschränkung/Begrenzung. Bitte kopieren Sie dazu die URL aus der Browserzeile.
Wörtliche Textzitate: Ohne Rücksprache bis 2 Absätze aus bis zu 10 Folgen jew. mit Linkverweis. Weitergehende Textübernahmen nur mit schriftlicher Genehmigung.
Wichtiger Hinweis: Bitte keine e-mails mit konkreten Rechtsfragen einsenden, da diese nicht beantwortet werden können.
 

Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

STARTSEITE >>

Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug