Hans-Gottlob-Ruehle.de
Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 272: Behindertengerechte Beschäftigung

Der Fall:

    Der arbeitslose Musiker Dimitri Schostakowitsch ist beim erfolgreichen Entsorgungsunternehmer George Gershwin als Arbeiter beschäftigt. Gershwin unterhält u.a. einen großen Schrottplatz. Schostakowitsch ist dort seit vielen Jahren mit der Entsorgung von verschrotteten Autos beschäftigt.
    Daneben leitet er seit langem den kleinen Werkschor. Bei Betriebsfeiern nervt er Gershwin und die Mitarbeiter gerne mit eigenen kleinen Kompositionen.
    Der Schwerarbeit leistende Schostakowitsch ist seit 2003 vom Versorgungsamt mit einem Grad der Behinderung von 50 anerkannt. 2005 wurde ihm eine Kniegelenksprothese eingesetzt. Seitdem ist sein rechtes Bein nicht mehr voll belastbar. Insbesondere darf er seitdem nicht mehr als 15 kg heben und tragen. Deshalb kann er nicht mehr seine bisherige Arbeit auf dem Schrottplatz verrichten.
    Schostakowitsch schlägt vor, zukünftig den Werkschor mit neuen Kompositionen hauptamtlich zu betreuen. George Gershwin lehnt erschaudernd ab.
    Der mitleidige Platzwart Martin Heidegger hätte vielleicht einige Stunden pro Woche Arbeit im Bereich der Ersatzteilsortierung anzubieten. Der Betriebsrat Fritz Wunderlich fordert dagegen vom Arbeitgeber den Einsatz von mechanischen Hebevorrichtungen, um Schostakowitsch die Weiterarbeit auf dem Schrottplatz zu ermöglichen.
    Arbeitgeber Gershwin lehnt es ab, Schostakowitsch weiter zu bezahlen. Den Einbau von Arbeitshilfen hält er für viel zu teuer. Dimitri dagegen beklagt eine Diskriminierung als Schwerbehinderter. Er verlangt den vollen Lohn.
    Muß George Gershwin zahlen?

Die Lösung

1. Ohne Arbeit kein Lohn

    Auch wenn es für manche Zeitgenossen erstaunlich klingen mag, so gilt doch im deutschen Arbeitsrecht weiter der Grundsatz: „Ohne Arbeit kein Lohn“. Dies bedeutet, daß der Arbeitnehmer generell verpflichtet ist, seine geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Nur dann ist der Arbeitgeber verpflichtet, als Gegenleistung den vereinbarten Lohn zu zahlen.
    Entscheidend ist dafür die arbeitsvertraglich vereinbarte Tätigkeit. Schostakowitsch ist als angelernter Arbeiter beschäftigt. Er muß nach dem Arbeitsvertrag sämtliche anfallenden Arbeiten, egal wie schwer, verrichten.
    Vom Grundsatz „ohne Arbeit kein Lohn“ gibt es Ausnahmen. Zu diesen Ausnahmen zählen Urlaub und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Ausnahmsweise muß der Arbeitgeber auch dann den Lohn zahlen, wenn er sich im Annahmeverzug befindet.

2. Annahmeverzug

    Das Institut des Annahmeverzuges ist in § 615 BGB geregelt. Danach kann der zur Ableistung von Arbeit verpflichtete Arbeitnehmer/Dienstverpflichtete die vereinbarte Vergütung vom Dienstherrn/Arbeitgeber verlangen, wenn dieser die angebotene Arbeit/Dienste nicht annimmt.
    Für die Lohnzahlungspflicht im Annahmeverzug spielt es keine Rolle, ob dem Arbeitgeber bei der Nichtannahme bzw. bei der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers ein Verschulden trifft. Entscheidend ist allein, ob er die vertragsgemäß angebotene Arbeit annimmt oder nicht.
    Beispiel: Fällt in einem Restaurant der Strom aus, so kann in der Küche weder gekocht werden, noch können die Gäste bedient werden. Der Arbeitgeber haftet für dieses Risiko. Er muß deshalb den Lohn an alle Bediensteten zahlen, auch wenn er das Lokal nicht betreiben kann.

3. Vertragsgerechtes Angebot

    Voraussetzung für den Annahmeverzug ist allerdings ein vertragsmäßiges Angebot der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer. Nach § 297 BGB kommt der Arbeitgeber nicht in Verzug, wenn der Arbeitnehmer – aus welchen Gründen auch immer – nicht in der Lage ist, vertragsgemäß seine Arbeitsleistung anzubieten oder zu erbringen.
    Dimitri Schostakowitsch ist nicht in der Lage, seine Arbeitsleistung vertragsmäßig zu erbringen. Aus gesundheitlichen Gründen ist er nur noch eingeschränkt belastbar. Das am Schrottplatz erforderliche Heben von schweren Lasten ist ihm gesundheitlich nicht mehr möglich.
    Aus diesem Grunde kann Schostakowitsch den Arbeitgeber Gershwin nicht in Annahmeverzug versetzen. Er hat keinen Vergütungsanspruch nach § 615 BGB.
    Beachte: Im Rahmen des Annahmeverzugs ist der Arbeitgeber generell nicht gehalten, seine Arbeitsorganisation zu ändern oder den Arbeitsplatz des Arbeitnehmers mit technischen Arbeitshilfen auszustatten. Der Arbeitgeber kann vielmehr dem Grundsatz nach zunächst auf Einhaltung des Arbeitsvertrags bestehen.

4. Direktionsrecht

    Im Rahmen des Direktionsrechtes kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit die Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag genau geregelt sind. Nach § 106 Satz 3 Gewerbeordnung muß der Arbeitgeber allerdings bei Ausübung seines Ermessens auch auf Behinderungen des Arbeitnehmers Rücksicht nehmen.
    Hätte Arbeitgeber Gershwin einen anderen freien Arbeitsplatz für Schostakowitsch im Betrieb, so müßte er dem Arbeitnehmer im Rahmen des billigen Ermessens durch Versetzung ermöglichen, seine Arbeit dort fortzusetzen.
    Ggf. müßte auch daran gedacht werden, im Zuge einer Umsetzung von mehreren Arbeitnehmern im Wege des Direktionsrechtes eine Weiterbeschäftigung von Schostakowitsch zu ermöglichen.
    Eine solche Pflicht besteht aber dann nicht, wenn Betriebsrat oder Arbeitnehmer sich aus guten Gründen gegen eine solche Umsetzung zur Wehr setzen.
    Ein nur stundenweiser Einsatz bei Platzwart Heidegger würde das Problem nicht endgültig lösen.

>> Nächste Folge
<< Zurück zur Übersicht

 

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
Linkverweise ohne Einschränkung/Begrenzung. Bitte kopieren Sie dazu die URL aus der Browserzeile.
Wörtliche Textzitate: Ohne Rücksprache bis 2 Absätze aus bis zu 10 Folgen jew. mit Linkverweis. Weitergehende Textübernahmen nur mit schriftlicher Genehmigung.
Wichtiger Hinweis: Bitte keine e-mails mit konkreten Rechtsfragen einsenden, da diese nicht beantwortet werden können.
 

Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

STARTSEITE >>

Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug