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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 204: Befristung bei Krankheitsvertretung

Der Fall

    Arbeitnehmerin Sissi vertritt die wegen Krebs langzeiterkrankte Oblatenbäckerin Maria Theresia mit befristeten Verträgen. Die Befristung läuft jeweils 6 Monate. Die dritte Befristung wegen Krankheitsvertretung endete zum 31.8.2005.
    Maria Theresia teilte im Oktober 2005 mit, daß sie wegen ihrer schweren Krankheit nicht mehr kommen würde. Arbeitgeber Franz Josef und Maria Theresia schlossen einen Auflösungsvertrag.
    Arbeitgeber Franz Josef teilte Sissi mit, daß ihr Vertrag am 31.10.2005 wegen Befristung auslaufe. Auf den freigewordenen Arbeitsplatz stellte er lieber die junge Romy Schneider ein.
    Sissy ist empört. Sie meint, daß wegen Ausscheidens von Maria Theresia der Arbeitsplatz rechtlich ihr als Vertretungskraft zusteht. Außerdem sei die dritte Befristung rechtsunwirksam, weil durch die schwere Krankheit von Maria Theresia ein Dauertatbestand vorliege, der keine Vertretung mehr gerechtfertigt habe.

Die Lösung

1. Zweck und Zeitbefristung

    Nach § 620 BGB kann ein Arbeitsverhältnis auch befristet abgeschlossen werden. Die näheren Einzelheiten der Befristung sind mittlerweile im Teilzeit- und Befristungsgesetz geregelt, nämlich in den §§ 14ff. Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG).
    Zu unterscheiden ist zunächst zwischen der Zeitbefristung und der Zweckbefristung.
    Ist eine Befristung vereinbart mit einem bestimmten Datum als Endzeitpunkt oder eine Befristung mit einem bestimmten Zeitablauf nach Wochen oder Monaten bzw. Jahren bemessen mit einem kalendermäßig bestimmten Anfangsdatum, so liegt eine kalendermäßige Befristung bzw. eine Zeitbefristung vor.
    Eine Befristung kann jedoch auch für einen bestimmten Zweck abgeschlossen werden. Die Befristung endet dann mit Erreichen des Zweckes. Insoweit liegt eine auflösende Bedingung vor.
    Befristungen wegen Vertretung von anderen kurzfristig oder langfristig ausgefallenen Mitarbeitern sind rechtlich zulässig. Steht der genaue Zeitpunkt der Wiederkehr fest, so kann eine kalendermäßige Befristung vereinbart werden.
    Im Falle der Krankheitsvertretung steht in vielen Fällen die genaue Rückkehr der kranken Mitarbeiterin nicht fest. Zumeist weiß diese selbst nicht, wann die Genesung endgültig abgeschlossen ist. Aus diesem Grunde kann die Krankheitsvertretung sowohl als Zweckbefristung, wie auch mittels einer kalendermäßigen Befristung verändert werden.
    Im Falle der Zweckbefristung ist Befristungszweck die Krankheitsvertretung bis zur Genesung bzw. Arbeitsfähigkeit oder bis zum Tod. Es empfiehlt sich hier, ein Enddatum als Höchstdauer oder längste Laufzeit des Vertrages zu vereinbaren.
    Der Arbeitgeber kann aber auch das Risiko eingehen, bei entprechend lange andauernden Krankheiten eine Zeitbefristung mit kalendermäßigem Enddatum oder einer bestimmten Laufzeit zu vereinbaren. Kommt allerdings die erkrankte Arbeitnehmerin dann früher, hat er zeitweise 2 Arbeitnehmer auf einem Arbeitsplatz. Wenn dies vereinbart ist, kann er ggf. vorzeitig das Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung unter Einhaltung der Kündigungsfrist beenden.
    Ist bei einer Zeitbefristung die erkrankte Mitarbeiterin länger krank, als der Befristungslauf dauert, so ist dies für die Zulässigkeit der Befristung unschädlich.
    Problematisch ist nur der Falle, in dem der Arbeitgeber wissentlich eine viel zu lange Befristungsdauer vereinbart. Dann könnte die Differenz zwischen der Erkrankung der vertretenen Mitarbeiterin und der Befristungsdauer zur Rechtsunwirksamkeit der Befristung führen.

2. Befristung ohne Sachgrund

    Nach § 14 Abs. 2 TzBfG kann die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrages ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes bis zur Dauer von 2 Jahren durchgeführt werden. Dabei ist eine 3malige Verlängerung der kalendermäßigen Befristung bis insgesamt zu dieser Höchstdauer zulässig.
    Eine solche Befristung ohne Sachgrund ist jedoch unzulässig, wenn die Mitarbeiterin mit dem selben Arbeitgeber bereits früher ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis eingegangen war (Vorbeschäftigung).
    Arbeitgeber Franz Josef hätte mit Sissi für 4 Mal 6 Monate dauernde Befristungen abschließen können. Dies war jedoch nicht möglich, weil Sissi bereits vor 3 Jahren bei ihm beschäftigt war.

3. Befristung mit Sachgrund

    In § 14 Abs. 1 TzBfG ist die Befristung mit sachlichem Grund geregelt. Die dort aufgeführten Befristungsgründe sind nicht abschließend. Sie entsprechen in etwa der bisherigen Rechtsprechung zur Befristung.
    Als sachlicher Befristungsgrund zählt nach § 14 Abs. 1 Ziff. 3 TzBfG auch die Vertretung eines anderen Mitarbeiters. Darunter kann eine Krankheitsvertretung fallen. Aber auch Urlaubsvertretungen, Vertretungen wegen Ableistung des Wehr- und Zivildienstes, wegen Sonderurlaub, unbezahlten Urlaub und anderen Ausfallzeiten sind möglich.

4. Krankheitsvertretung - Prognose

    Die Befristung mit Sachgrund wegen Krankheitsvertretung darf vom Arbeitgeber nicht mißbraucht werden. Arbeitnehmerin Sissi sieht einen solche Mißbrauchstatbestand, da sie von einer Dauererkrankung der vertretenen Mitarbeiterin Maria Theresia ausgeht.
    Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat dazu ausgeführt, daß der Arbeitgeber eine Vertretungskraft so lange befristet beschäftigen darf, wie er mit der Rückkehr der vertretenen Mitarbeiterin rechnen darf. Die Befristung wegen Krankheitsvertretung setzt voraus, daß von vorneherein nur ein zeitlich begrenztes Vertretungsbedürfnis vorhanden ist.
    Andererseits aber kann vom Arbeitgeber nicht verlangt werden, daß er wegen der Krankheitsprognose der erkrankten Mitarbeiterin klüger ist, als diese selbst. Er darf auch bei einer Langzeiterkrankung diese Mitarbeiterin nicht einfach „abschreiben“. Gerade in diesem sensiblen Bereich könnte es fatal sein, wenn er den Arbeitsplatz der kranken Maria Theresia bereits auf Dauer mit einer neuen Kraft besetzt hätte. Außerdem geht er ein hohes Risiko ein, wenn diese dann wider Erwarten doch an den Arbeitsplatz zurückkehrt.
    Teil des Sachgrundes der Vertretung ist es deshalb auch die Prognose des Arbeitgebers über den voraussichtlichen Wegfall des Vertretungsbedarfs durch Rückkehr der zu vertretenden Mitarbeiterin. Von einer solchen Rückkehr kann in Vertretungsfällen wegen Krankheit regelmäßig ausgegangen werden.
    Nur wenn der Arbeitgeber sichere Kenntnis hat oder ausnahmsweise aufgrund der ihm vorliegenden zuverlässigen Informationen erheblichen Zweifel an der Rückkehr der Stammkraft haben muß, kann dies nach Meinung des Bundesarbeitsgerichts dafür sprechen, daß die Sachgrundvertretung tatsächlich nur vorgeschoben ist. Nur unter diesen Umständen kann die Befristung unwirksam sein.
    Auch eine wiederholte Befristung wegen mehrfacher Verhinderung einer zu vertretenden Stammkraft steht der Prognose der Rückkehr nicht entgegen. Sissi hat deshalb nicht recht.

5. Kein Arbeitsplatzanspruch

    Kehrt die vertretene Mitarbeiterin wegen weiterer Erkrankung oder Tod etc. auf Dauer nicht mehr an den Arbeitsplatz zurück, so hat die befristete Vertretungskraft gleichwohl keinen Anspruch auf Übernahme des nunmehr freien Arbeitsplatzes. Der Arbeitgeber kann nach der Rechtsprechung frei entscheiden, mit wem er den freigewordenen Arbeitsplatz auf Dauer besetzen will. Dies bedeutet, daß Franz Josef anstelle von Sissi auch die junge Romy einstellen darf.

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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
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Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
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324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug