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Hans-Gottlob-Ruehle.de Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle |
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Hans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen, Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D., gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.
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Folge 198: Widerspruch bei Betriebsübergang
Der Fall
Karl Martell war als Reiniger im Königspalast von Chlodwig beschäftigt. Mit allen Arbeitnehmern waren die geltenden Tarifverträge vereinbart. So galt auch
der Tarifvertrag zur sozialen Absicherung. In § 4 dieses Tarifvertrags war geregelt, daß bei Ausscheiden im Zuge eines Betriebsübergangs eine Abfindung zu zahlen sei, sofern dem Mitarbeiter kein anderer
Arbeitsplatz bei dem Übernehmer angeboten wurde, der ihm „nach Kenntnissen und Fähigkeiten zumutbar“ war. Zur Kostensenkung und Sanierung des maroden öffentlichen Haushalts beschloß Chlodwig, sämtliche
Reinigungsaufgaben der öffentlichen Paläste und Verwaltungen auszugliedern und auf die Attila-GmbH zu übertragen. Attila sollte auch sämtliche bei Chlodwig beschäftigten Reinigungskräfte übernehmen. Den
Arbeitnehmern war für die Dauer eines Jahres ihr bisheriges Gehalt garantiert worden, einschließlich Weihnachts- und Urlaubsgeld. Außerdem sagte Chlodwig ihnen eine Abfindung zu, falls Attila das
Arbeitsverhältnis in den ersten 15 Monaten nach dem Betriebsübergang kündigt. Von den 120 Reinigungskräften widersprachen 110 dem Übergang, auch der alte Gewerkschaftler Karl Martell. Daraufhin kündigte
Chlodwig allen Reinigern, die dem Übergang widersprachen, da er keine freien Arbeitsplätze für sie im Palast hatte. Im Kündigungsschutzverfahren einigten sich Chlodwig und die Mitarbeiter auf eine Abfindung
von 4.500 Euro bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Karl Martell begehrt aber weiterhin eine Abfindung in Höhe von 1.000 Euro nach § 4 des Tarifvertrags zur sozialen Absicherung. Er begründet dies damit, daß
bei der Attila-GmbH als Privatunternehmen zukünftig mit erheblich verschlechterten Arbeitsbedingungen zu rechnen sei. Deshalb sei der neue Arbeitsplatz nicht zumutbar gewesen. Chlodwig verweigert die
Zusatzabfindung. Zu Recht?
Die Lösung
1. Betriebsübergang
Geht ein Betrieb oder ein Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen neuen Inhaber über, so tritt dieser in die Rechte und Pflichten der zum Zeitpunkt des
Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnis ein. Diese Regelung des § 613 a BGB sichert den Arbeitnehmern bei Betriebsübergang durch Rechtsgeschäft ihren Arbeitsplatz. Ein Betriebsübergang liegt bereits dann vor,
wenn eine Abteilung oder ein Teil des Betriebes, der organisatorisch faßbar und darstellbar ist, auf einen neuen Inhaber übergeht. Der neue Inhaber oder Betreiber muß die Mitarbeiter des Betriebes oder der
Abteilung mit ihren Arbeitsverhältnissen so übernehmen, wie diese Arbeitsverhältnisse im Zeitpunkt des Übergangs sich darstellen. Nach § 613a Abs. 4 BGB darf nicht wegen des Übergangs des Betriebes gekündigt
werden. Eine solche Kündigung ist unwirksam. Der Übergang der Arbeitsverhältnisse mit allen Rechten und Pflichten sowie aller Arbeitnehmer verhindert, daß der Übernehmer sich die ihm genehmen oder
wirtschaftlich günstig erscheinenden Arbeitsverhältnisse heraussucht und die übrigen Arbeitnehmer in die Arbeitslosigkeit entlassen werden. In der Praxis bereitet diese Rechtsvorschrift große Probleme und
wirft viele Fragen auf.
2. Pflichten des Arbeitgebers
Nach § 613 a Abs. 5 BGB muß der bisherige Arbeitgeber oder der neue Inhaber vor einem Betriebsübergang alle betroffenen Mitarbeiter vom Übergang in
Textform unterrichten. In der Unterrichtung muß insbesondere der Zeitpunkt des Übergangs enthalten sein, der Grund für den Übergang, die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für
die Arbeitnehmer und die wegen der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen. Unterläßt der Arbeitgeber diese Mitteilung bzw. die rechtzeitige Mitteilung oder ist die Mitteilung fehlerhaft und nicht
vollständig, so setzt sich der Arbeitgeber Schadenersatzansprüchen der Arbeitnehmer aus.
3. Widerspruchsrechte der Arbeitnehmer
Die Rechtsprechung hat schon seit langem ein Widerspruchsrecht der Arbeitnehmer für den Fall des Betriebsüberganges festgestellt. Dies hat der Gesetzgeber
mittlerweile in § 613 a Abs. 6 BGB auch gesetzlich niedergelegt. Danach kann der Arbeitnehmer dem Übergang des Arbeitsverhältnisses innerhalb eines Monats nach Zugang der Unterrichtung nach Abs. 5 schriftlich
widersprechen. Der Widerspruch kann gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber oder dem neuen Inhaber erklärt werden. Der Widerspruch hat die Folge, daß das Arbeitsverhältnis des widersprechenden Arbeitnehmers
nicht auf den neuen Betriebsinhaber bzw. Betriebsteilinhaber übergeht. Der Arbeitnehmer verbleibt beim alten Arbeitgeber.
4. Umsetzung oder Kündigungsrecht
Macht ein Arbeitnehmer bei einem Teil-Betriebsübergang von seinem Widerspruchsrecht Gebrauch, so muß ihn der Arbeitgeber in seinem Betrieb, der verbleibt,
weiterbeschäftigen, wenn eine Möglichkeit besteht. Dies setzt voraus, daß zum einen der Arbeitgeber einen Restbetrieb behält. Zum anderen setzt der Weiterbeschäftigungsanspruch voraus, daß der Arbeitgeber
einen freien geeigneten Arbeitsplatz besitzt, den er dem Arbeitnehmer anbieten kann. Hat der Arbeitgeber keinen Betrieb mehr, weil der Betrieb insgesamt veräußert wurde oder sind im Restbetrieb keine freien
zumutbaren oder in Betracht kommenden Arbeitplätze vorhanden, so darf der Arbeitgeber das bei ihm verbliebene Arbeitsverhältnis betriebsbedingt kündigen. Achtung:
Bei einer betriebsbedingten Kündigung ist zwar grundsätzlich die Sozialauswahl zwischen den vergleichbaren verbliebenen Arbeitnehmern vorzunehmen. Hat der widersprechende
Mitarbeiter jedoch einen zumutbaren Arbeitsplatz beim Betriebsübernehmer abgelehnt, so kann er nicht verlangen, daß ein anderer, im Betrieb verbliebener Arbeitnehmer im Rahmen der Sozialauswahl für ihn gehen muß
und gekündigt wird! Der im Betrieb verbliebene Arbeitnehmer hat nämlich nicht die Möglichkeit, auf einen zumutbaren Arbeitsplatz bei einem Betriebsübernehmer zu wechseln. Diese Möglichkeit hatte nur der
widersprechende Mitarbeiter. Er muß in einem solchen Falle deshalb mit einer betriebsbedingten Kündigung Vorlieb nehmen, wenn kein geeigneter freier Arbeitsplatz vorhanden ist. Praxistip: Es kommt in der gerichtlichen Praxis immer wieder vor, daß Arbeitnehmer diese „Zwickmühle“ zu spät merken, in die sie sich selbst durch
ihren Widerspruch hineinmanövriert haben. Sie versuchen, ihren Widerspruch rückgängig zu machen. Dies geht jedoch nicht so ohne weiteres! Der Widerspruch ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung,
die der Arbeitnehmer nicht mehr einseitig rückgängig machen kann. Nach dem Widerspruch ist der Übernehmer nicht mehr verpflichtet, den Arbeitnehmer zu übernehmen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer
vor dem Betriebsübergang nach § 613 a Abs. 5 BGB ordnungsgemäß über den Betriebsübergang unterrichtet wurde. Es empfiehlt sich deshalb dringend, daß die von einem Betriebsübergang erfaßten Arbeitnehmer, die
in den Betriebsübergang fallen, sich vor ihrem Widerspruch genau die Rechtsfolgen und ihre Möglichkeiten überlegen und nicht unüberlegt „vorsorglich“ einen Widerspruch erklären, den sie nachher nicht mehr
zurücknehmen können.
5. Abfindung
Es gibt immer wieder Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen, die für den Fall eines Betriebsüberganges eine Abfindung vorsehen, wenn der Arbeitnehmer
dem Übergang widerspricht und deshalb betriebsbedingt aus dem Arbeitsverhältnis beim Arbeitgeber ausscheiden muß. In vielen Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen, Interessenausgleichen und Sozialplänen ist
jedoch vorgesehen, daß der Abfindungsanspruch sich mindert oder ganz entfällt, wenn dem Mitarbeiter ein zumutbarer Arbeitsplatz bei dem Übernehmer angeboten wurde. In diesem Falle könnte der Arbeitsplatz und die
Abfindung verloren sein.
6. Der Fall Martell
Der Tarifvertrag zur sozialen Absicherung sah den Wegfall der tariflichen Abfindung vor, wenn ein nach Kenntnissen und Fähigkeiten zumutbarer Arbeitsplatz
nicht angeboten wurde. Karl Martell wurde jedoch ein Arbeitsplatz angeboten, der ihm nach Kenntnissen, Fähigkeiten und Tätigkeiten zumutbar war. Es war ja sein früherer Arbeitsplatz. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts spielt es dabei keine Rolle, daß dieser neue Arbeitsplatz zukünftig evtl. mit geänderten Bedingungen versehen werden könnte. Auch eine spätere
Änderung der Vergütung ist nach diesem Tarifvertrag ohne Bedeutung. Persönliche und familiäre sowie soziale Gründe können die Unzumutbarkeit des Arbeitsplatzes nach dem Tarifvertrag ebenfalls nicht begründen.
Aus diesem Grunde kann Karl Martell neben der schon vereinbarten vertraglichen Abfindung nicht zusätzlich noch die tarifvertragliche Abfindung bekommen. Er hätte wohl besser dem Betriebsübergang nicht
widersprochen, sondern seinen Arbeitsplatz auch mit den Unwägbarkeiten der Zukunft behalten.
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:
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Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
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Arbeitsrecht von H.G. Rühle
Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen: Folge 1 - 100 Folge 101 - 200 Folge 201 - 300 Folge 301 ff.
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Folgenübersicht:
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1 - 12: Freie Bewerberauswahl? Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch
13 - 24: Psych. Gutachten Gentest Assessment Center Neues Befristungsrecht /
Teilzeitarbeit (TzBfG)
25 - 36: Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG) Neues im Erziehungsrecht
37 - 48: Berufsschule/Freistellung Dumpinglöhne Kündigung/soz. Aspekte Mobbing
49 - 60: Das Arbeitszeugnis Zeugnisgrundsätze Zeugnissprache Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung
61 - 72: Kündigung/Kopftuchtragen Blutuntersuchungen
73 - 84: Abmahnung Andere Sanktionen
85 - 96: Betriebl. Altersversorgung Betriebsrente “Riester-Rente”
Entgeltumwandlung
97 - 108: Forts. “Riester-Rente” Weihnachtsgratifikation Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen Krankheitsvertretung
109 - 120: Lohngrundsätze I-V Nebentätigkeitsverbot Mobbing I-VI
121 - 132: Kündigung - was tun? Checkliste
133 - 144: Kündigung - was tun? Soll ich klagen? Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?
145 - 156: Neues Kündigungsrecht 2004
157 - 168: Neues Kündigungsrecht Sozialauswahl Klagefrist Neuregelung TzBfG
169 - 180: Hartz IV Ein-Euro-Job
181-192: Ein-Euro-Job Forts. Ausgleichsquittung / unzulässiger Lohnverzicht
193 - 204: Betriebsausflug Elternzeit Betriebsübergang
205 - 216: Betriebliche Mitarbeiterkontrollen Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz
217 - 228: Neue Gewerbeordnung Gebetspausen
228 - 240: Neue Sperrzeitprobleme Beendigungsvergleich
241 - 252 Ethik-Regeln I-XII
253 - 264 Hitzeregelungen Internetnutzung (Kündigung)
265 - 276 Nebentätigkeiten Arbeit auf Abruf
277 - 288 Arbeitslosengeld - Sperrfrist Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld
289 - 300 Arbeitsrechtliche Schwellenwerte Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
301 - 312 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
313 - 323 Sittenwidrige Vergütung
324 - 335 Schutz der behinderten Menschen
336 - 347 Schutz der behinderten Menschen Annahmeverzug
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