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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 226: Gebetspause am Arbeitsplatz III

Der Fall:

    Der tiefgläubige Suleiman verlangt von seinem Arbeitgeber Barbarossa zur Verrichtung seines muslimischen Morgengebets in der Frühschicht zwischen 6 Uhr und 8 Uhr die Freistellung für 3 Minuten.
    Das Unternehmen von Barbarossa ist im Bereich der Metallverarbeitung beschäftigt. Der Kläger arbeitet an einer Bandstraße. Barbarossa lehnt ab, weil er das Band nicht wegen des Klägers für 3 Minuten anhalten könne. Dies verursache erhebliche wirtschaftliche Verluste.
    Suleiman schlägt den Einsatz eines Springers vor. Barbarossa hat jedoch nicht regelmäßig einen Springer zur Verfügung.
    Barbarossa beschäftigt 500 Arbeitnehmer, darunter 150 Moslems. Er hält die Einrichtung von Gebetspausen für alle Moslems für wirtschaftlich und technisch völlig ausgeschlossen. Eine Vereinbarung über das Abhalten von Gebetspausen besteht weder zwischen Suleiman und Barbarossa, noch zwischen dem Betriebsrat und Arbeitgeber.
    Suleiman besteht auf der Wahrnehmung seiner religiösen Pflichtgebete und beruft sich auf sein Recht zur freien Religionsausübung.

Die Lösung

8. Andere Anspruchsgrundlagen

    Ein Anspruch auf Gebetspausen könnte sich für Suleiman dann ergeben, wenn der Arbeitgeber Barbarossa Gebetspausen in der Vergangenheit stets akzeptiert und gewährt hatte. So könnte der Arbeitsvertrag durch betriebliche Übung entsprechend gestaltet worden sein. Das war aber nicht der Fall.
    Ein Anspruch von Suleiman könnte sich aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz auch dann ergeben, wenn Barbarossa allen anderen Muslimen die Gebetspause gewähren würde, ihm aber nicht.
    Gegebenenfalls könnte sich über den Gleichbehandlungsgrundsatz in Verbindung mit dem Diskriminierungsverbot auch dann ein Anspruch ergeben, wenn Barbarossa allen Religionsgemeinschaften im Betrieb die Religionsausübung auch während der Arbeitszeit mit Pausen gewährt, nur den Muslimen nicht. Dies würde eine Diskriminierung der Arbeitnehmer wegen ihrer speziellen Religion darstellen. Aber auch das war bei Suleiman nicht der Fall.
    Schließlich könnte sich eine Anspruchsgrundlage aus einer Betriebsvereinbarung oder einem Tarifvertrag ergeben. Denkbar wäre, daß der Betriebsrat früher oder später die Einführung von Gebetspausen oder Pausen zur Durchführung religiöser Rituale mit dem Arbeitgeber per Betriebsvereinbarung regelt. Diese Betriebsvereinbarung würde normativ und zwingend im Betrieb gelten. Bei Barbarossa besteht jedoch eine solche Betriebsvereinbarung im Unternehmen nicht.

9. Grundrechtskollision

    Suleiman übersieht bei seinem Begehren und seiner Argumentation, daß nicht nur er, sondern auch der Arbeitgeber Grundrechtsträger ist. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Arbeitgeber eine natürliche oder eine juristische Person (GmbH, Aktiengesellschaft etc.) ist.
    Der Arbeitgeber Barbarossa hat insbesondere einen grundgesetzlich gewährleisteten Schutz aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG bei der Durchführung seiner Unternehmung. Das mit Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Grundrecht der Berufsfreiheit und die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG schützt ihn und seine Tätigkeit.
    Die Grundrechte des Arbeitnehmers Suleiman aus Art. 4 und Art. 2 GG finden ihre Grenze an den grundrechtlich geschützten Positionen anderer Vertragspartner oder Rechtsgenossen. Es tritt dann eine „Grundrechtskollision“ ein.
    Diese widerstreitenden Grundrechte und gegenläufigen Interessen müssen mit dem Ziel eines Ausgleichs geprüft werden. Ist ein Ausgleich nicht möglich, so muß entschieden werden, welche geschützten Interessen überwiegen und wichtiger sind. Dabei ist auch das Recht des Arbeitgebers an einer Berufsausübung ohne ernsthafte betriebliche Störungen zu berücksichtigen.

10. Berechtigte betriebliche Interessen

    Zur Lösung der Grundrechtskollision müssen zunächst berechtigte Interessen beider Seiten vorhanden sein, die grundrechtlich geschützt sind.
    Dabei ist zu prüfen, ob der Arbeitgeber tatsächlich berechtigte betriebliche Interessen besitzt, oder ob die Gebetsdurchführung technisch und betrieblich ohne große Störungen und Beeinträchtigungen durchführbar ist.
    Dies ist von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz verschieden. In Einzelfällen kann der betreffende Arbeitnehmer vor- oder nacharbeiten. Die Einlegung einer Pause ist nicht generell für den Betriebsablauf störend. Im vorliegenden Falle führt allerdings die Abwesenheit vom Band zu Ablaufstörungen, da bestimmte Bearbeitungsgänge nicht durchgeführt werden. Durch Abwesenheit kann im Einzelfall auch eine technisch bedingte Störung auftreten.
    Arbeitsabwesenheit ist z.T. auch in Sicherheits- und Kontrollbereichen nicht zulässig bzw. nicht zumutbar. Hier könnte ggf. der Einsatz eines Springers Abhilfe schaffen. Der Arbeitgeber ist allerdings nicht verpflichtet, Springer vorzuhalten. Nur dann, wenn tatsächlich stets ein nicht eingesetzter Springer vorhanden wäre, könnte der Arbeitnehmer ggf. verlangen, kurzzeitig vom Springer abgelöst zu werden.
    Im Falle von Suleiman scheitern jedoch alle diese Lösungen, da Springer oder Arbeitskollegen nicht vorhanden sind, die die Arbeit übernehmen.

11. Zumutbarkeit

    Schließlich ist zu prüfen, ob auch bei der Möglichkeit von technischen oder organisatorischen Lösungen, dem Arbeitgeber zumutbar ist, diese Lösungen auch durchzuführen. Technische Veränderungen oder auch Umorganisation können insbesondere aus wirtschaftlichen oder aus organisatorischen Gründen unzumutbar sein. Hier ist eine Interessenabwägung vorzunehmen.
    Im Rahmen dieser Interessenabwägung ist insbesondere zu berücksichtigen, daß sich der Arbeitnehmer grundsätzlich bei Vertragschluß mit dem Direktionsrecht des Arbeitgebers einverstanden erklärt hat und keine Einwendungen hinsichtlich seines Arbeitseinsatzes erhoben hat. Wenn dem Arbeitgeber die Änderung von Betriebsabläufen mit wenigen Mitteln möglich ist, so ist die grundrechtliche Position von Suleiman schützenswerter und Barbarossa muß ihm die Gebetspause einräumen.
    Sollte aber die Umorganisation mit erheblichen Zusatzkosten, mit technischen oder organisatorischen Problemen verbunden sein, so hat Suleiman kein Recht auf die Einhaltung der Gebetspause. Er muß warten, bis die allgemeine betriebliche Pause erreicht wird.

12. Fazit

    Ein Arbeitnehmer verzichtet nicht auf seine Grundrechte aus Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG, weil er bei Abschluß des Arbeitsvertrages damit rechnen mußte, daß die ordnungsgemäße Erfüllung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten mit seinen Verpflichtungen gegenüber seinem Glauben kollidieren könnten.
    Ein Arbeitgeber ist jedoch nicht verpflichtet, durch Art. 4 geschützte Gebetspausen des muslimischen Arbeitnehmers während der Arbeitszeit hinzunehmen, wenn hierdurch betriebliche Störungen verursacht werden, die nicht mit geringen Mitteln beseitigt werden können.
     

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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug