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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 87: Definition der betrieblichen Altersversorgung

Der Fall:

    Arbeitgeberin Steffi hat für den Mitarbeiter Boris eine Lebensversicherung im Wege der betrieblichen Altersversorgung angelegt. Grund war die ständige Geldnot von Boris und seiner 5 Kinder. Für die Mitarbeiterinnen Serena und Venus hat sie dies abgelehnt. Allerdings hat sie auf Wunsch von Serena deren Weihnachtsgeld ebenfalls im Wege der Entgeltumwandlung auf eine Lebensversicherung abgeführt. Venus wünscht sich eine Riester-Rente. Nach Vertragsschluß führt Steffi die entsprechenden Beiträge vom Netto-Entgelt der Venus an die Versicherung ab.
    Daneben hat Arbeitgeberin Steffi einen Sozialfonds angelegt. Dieser dient dazu, Arbeitnehmern im unverschuldeten Notfall mit Beträgen bis EUR 500 zu helfen.
    Boris braucht Geld, weil er einen Ferrari kaufen will, Serena will ein Haus bauen und Venus eine Weltreise machen. Alle drei wollen ihre schon in die Altersversorgung eingezahlten Beträge zur Finanzierung entnehmen. Arbeitgeberin Steffi weigert sich. Serena und Venus finden dies stark, weil es sich ja um ihr eigenes Geld handelt.
    Steffi ist allenfalls bereit, aus dem Sozialfonds der Serena zu Weihnachten einen Kredit von EUR 500,- zu gewähren.

Die Lösung:

1. Privilegierung der betrieblichen Altersversorgung

    Die betriebliche Altersversorgung muß genauestens unterschieden werden von anderen betrieblichen oder sozialen Leistungen des Unternehmens. Der Grund liegt darin, daß der Gesetzgeber die betriebliche Altersversorgung in besonderer Weise gefördert und privilegiert hat. Diese Privilegierung erfolgte allerdings unter der Voraussetzung, daß die für den Arbeitnehmer angelegten Gelder dann im Alter auch tatsächlich dem Arbeitnehmer als Betriebsrente zur Verfügung stehen. Daraus folgt, daß dem Arbeitnehmer ein Zugriff auf die angesparten Gelder während des Arbeitslebens in der Regel nicht möglich sein soll. Andernfalls ginge die besondere Privilegierung dieser Versorgungsleistung ins Leere. Die vom Gesetzgeber befürchtete Versorgungslücke wäre nicht geschlossen oder minimiert.
    Die besondere Privilegierung der betrieblichen Altersversorgungsleistungen erfolgt zum einen - wie bereits ausgeführt - durch steuerliche Ersparnis und Bevorzugung, zum anderen durch die bisher bestehende Sozialversicherungsfreiheit.
    Eine weitere Privilegierung erfolgt durch die Regeln des Betriebsrentengesetzes (BetrAVG). Dort ist zum einen eine Unverfallbarkeit von Anwartschaften nach 10 bzw. 5 Jahren (neu) geregelt. Zum anderen hat der Gesetzgeber eine Anpassungspflicht des Arbeitgebers für Betriebsrenten eingeführt.
    Schließlich gibt es für Betriebsrenten eine besondere Insolvenzsicherung. Im Falle der Insolvenz sind unverfallbare Versorgungsanwartschaften sowie Betriebsrenten durch den Pensions-Sicherungs-Verein auf Gegenseitigkeit in Köln (PSV a.G.) abgesichert. Eine solche Sicherung gibt es für andere Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis nicht.

2. Begriff der betrieblichen Altersversorgung

    Der Gesetzgeber hat in § 1 BetrAVG die betriebliche Altersversorgung wie folgt definiert:
    “Werden einem Arbeitnehmer Leistungen der Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgung aus Anlaß seines Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber zugesagt, so gelten die Vorschriften des Betriebsrentengesetzes.
    Die Durchführung der betrieblichen Altersversorgung kann unmittelbar über den Arbeitgeber erfolgen oder aber über einen im Gesetz genannten Versorgungsträger, d.h. über eine Direktversicherung, eine Pensionskasse, einen Pensionsfonds oder über eine Unterstützungskasse. Eine betriebliche Altersversorgung liegt auch im Falle der Entgeltumwandlung vor.”
    Voraussetzung ist somit, daß eine Zusage oder eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Rahmen eines bestehenden Arbeitsverhältnisses vorliegen muß. In die Vorteile der Altersversorgung kommen z.B. nicht Hausfrauen, Sozialhilfebezieher, Beamte oder Selbständige. Allerdings ist diese Regel mittlerweile durchbrochen. Die “Riester-Rente” können auch Arbeitslose in Anspruch nehmen. Selbständige und freie Mitarbeiter können unter das Betriebsrentengesetz fallen, wenn sie aus Anlaß ihrer Tätigkeit für ein Unternehmen eine Altersversorgungszusage erhalten, auf die Leitung des Unternehmens keinen maßgeblichen Einfluß nehmen können und letztlich wirtschaftlich vom fremden Risiko abhängig sind.

3. Zweck

    Die Altersversorgungszusage oder die Entgeltumwandlung muß zum Zweck der Versorgung erfolgen. Es reicht nicht aus, wenn die Arbeitgeber Steffi z.B. einen Sozialfonds einrichtet, um im Einzelfall bei Notfällen auszuhelfen. Hier ist kein Versorgungszweck gegeben und damit keine betriebliche Altersversorgung.
    Sofern die Altersversorgungszusage alleine durch den Arbeitgeber erfolgt bzw. vom Arbeitgeber finanziert wird, wird die Leistung i.d.R. zur Belohnung für erbrachte Betriebstreue zur Verfügung gestellt.

4. Freiwillige Leistung?

    Soweit der Arbeitgeber die Leistungen zur betrieblichen Altersversorgung ganz oder alleine erbringt, handelt es sich um eine freiwillige Leistung des Arbeitgebers, die weder vom Arbeitnehmer, noch vom Betriebsrat erzwingbar ist. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates setzt erst dann ein, wenn der Arbeitgeber sich entschlossen hat, eine betriebliche Altersversorgung einzuführen und einen bestimmten Dotierungsrahmen vorgesehen hat. Bei der Verteilung der dann vorgesehenen Gelder muß der Betriebsrat zwingend beteiligt werden.
    Eine Ausnahme besteht mittlerweile für die Entgeltumwandlung. Nach § 1 a Betriebsrentengesetz kann der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber eine Entgeltumwandlung bis zu 4 % der jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung verlangen und gerichtlich erzwingen. Dies gab es in der Vergangenheit nicht. Dies gilt auch für die “Riester-Rente”.

5. Versorgungsfall

    Für die Zeit des Arbeitsverhältnisses und der Zusagedauer besteht zunächst nur eine Anwartschaft auf eine Altersversorgung. Dies bedeutet, daß der Anspruch auf betriebliche Altersversorgung erst durch ein im Gesetz genanntes biologisches Ereignis, nämlich den Versorgungsfall, ausgelöst wird. Diese biologischen Ereignisse sind zum einen
    – Erreichen des gesetzlichen Rentenalters (z.B. 65 Jahre, 63 Jahre),
    – Eintritt der Invalidität/Erwerbsunfähigkeit,
    – Eintritt des Todes beim anspruchsberechtigten Arbeitnehmer/Hinterbliebenenversorgung.

6. Leistungsarten der Altersversorgung

    Die Altersversorgung kann auf verschiedene Weise zugewandt werden. I.d.R. erfolgt sie durch Geldleistungen, d.h. in Form laufender Renten oder einmaliger Kapitalleistungen (Lebensversicherung).
    Denkbar und möglich ist aber auch eine Sach- oder Nutzungsleistung. Als Betriebsrente mit der entsprechenden Absicherung kann z.B. auch im Falle Brauerei ein Bierdeputat, bei Molkereibeschäftigten ein Milchdeputat, im Bergbau ein Kohledeputat oder das Wohnrecht in einer Werkswohnung sein.
    Dagegen sind andere Sozialleistungen auch im Rentenfalle keine Altersversorgung, wenn sie nicht dem Alter dienen, z.B. Jubiläumszuwendungen, Kurzuschüsse, Weihnachtsgelder für Rentner oder Abfindungen.

7. Keine Auszahlung / Abfindung

    § 3 Betriebsrentengesetz bestimmt, daß unverfallbare Versorgungsanwartschaften jedenfalls ab einem bestimmten Umfang vor Eintritt des biologischen Ereignisses (Alter, Tod, Invalidität) weder abgefunden noch ausgezahlt werden dürfen. Dies soll sichern, daß die betriebliche Altersversorgung auch wirklich im Falle des Alters zur Verfügung steht und nicht schon vorher “verbraten” wird.
    Arbeitnehmer Boris hat keinen Anspruch auf Kapitalisierung seiner Anwartschaft zum Ferrari-Kauf gegen Arbeitgeberin Steffi. Er hat dieses Anwartschaft weder finanziert, noch ist das gesetzliche biologische Ereignis (z.B. Altersgrenze) eingetreten.
    Auch Serena und Venus können jedenfalls ab Eintritt der Unverfallbarkeit die Auszahlung ihrer Gelder nicht verlangen, weder für Hausbau noch für eine Weltreise. Die Gelder wurden entsprechend langfristig mit steuerlichen bzw. staatlichen Vergünstigungen angelegt. Durch die vertragliche Vereinbarung zur Entgeltumwandlung bzw. zur Riester-Rente haben die Arbeitnehmerinnen fest gebunden. Die Arbeitgeberin Steffi könnte selbst dann die Beträge nicht auszahlen, wenn sie wollte.

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Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug