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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 84: Gehaltsüberzahlung II - Wegfall der Bereicherung oder Rückzahlung?

Der Fall:

Arbeitgeberin Constanzia von Cosel hat ihrem Stubenheizer Aegidius Wurz versehentlich seit dem 1.7.2002 ein um 20 Euro erhöhtes Gehalt von 1.020 Euro netto gezahlt. Der von ihr für die Erstellung des Taschenberg-Palais angestellte Baumeister Matthäus Daniel Pöppelmann erhielt zu seinem Gehalt von 10.000 Euro netto monatlich versehentlich eine Einmalzahlung von 50.000 Euro auf sein Konto durch Constanzia. Es lag ein Bankversehen vor. Das Geld sollte der Goldschmied Johann Melchior Dinglinger erhalten.
Dieses Bankversehen fiel Constanzia zunächst nicht auf. Weil Goldschmied Dinglinger geduldig wartete, dauerte es mehr als 6 Monate, bis die Fehlzahlung geklärt war. Baumeister Pöppelmann bemerkte zwar den unerwarteten Geldsegen, hütete sich aber, Arbeitgeberin Constanzia darüber zu unterrichten. Als Constanzia nach mehr als 6 Monaten das Geld zurückforderte, berief er sich nicht nur auf Entreicherung, sondern auch noch auf Verwirkung und auf den Ablauf der tariflichen Ausschlußfristen.
Constanzia ist tieftraurig über die Illoyalität und zieht vor das Arbeitsgericht.

Die Lösung:

1. Beweiserleichterungen

Bei geringen Überzahlungen des laufenden Arbeitsentgeltes hat die Rechtsprechung insbesondere für kleinere und mittlere Einkommen zugunsten der Arbeitnehmer eine Beweiserleichterung geschaffen.
Stubenheizer Aegidius ist monatlich um 20 Euro netto rechtsgrundlos bereichert. Da er aber den Zusatzbetrag für eine freundliche Geste seiner Arbeitgeberin hielt, hat er das Geld im “Grünen Gewölbe” vertrunken.
Nach der Rechtsprechung muß bei geringen Überzahlungen des Gehalts im Bereich kleiner und mittlerer Einkommen im Wege des “Beweises des ersten Anscheins” davon ausgegangen werden, daß solche Kleinbeträge typischerweise für den normalen Lebensbedarf ausgegeben werden. Es liegt im Zweifel keine Bereicherung mehr vor, wenn typischerweise anzunehmen ist, daß die Überzahlung für den laufenden Lebensunterhalt, insbesondere im konsumptiven Bereich, verbraucht wurde.
Es muß auch die Lebenssituation des Arbeitnehmers Wurz und seine wirtschaftliche Lage so sein, daß die Verwendung der Überzahlung für die laufende Lebensführung naheliegt. Dies kann bei Wurz angenommen werden, der mit seinem geringen Einkommen ohnehin jeden zusätzlichen Euro in die laufende Lebensführung stecken muß und keine Reichtümer ansammeln kann. Aegidius braucht deshalb seine Saufkumpels aus dem “Grünen Gewölbe” nicht als Zeugen vor Gericht schleppen.

2. Richtlinien

Im Öffentlichen Dienst gelten in verschiedenen Ländern Richtlinien, wonach der Wegfall der Bereicherung ohne nähere Prüfung unterstellt wird, wenn die überzahlten Beträge 10 % der Gesamtbezüge, höchstens jedoch 100 Euro monatlich nicht übersteigen. Die Rechtsprechung ist daran nicht gebunden, hat diese Grenze jedoch im allgemeinen akzeptiert.
Anders verhält es sich bei Baumeister Pöppelmann. Die Überzahlung ist weder gering, noch in die laufende Lebensführung aufgenommen worden.

3. Ausschlußfrist

Der Anspruch der Arbeitgeberin Constanzia auf Rückzahlung der 50.000 Euro gegen Pöppelmann war im Zeitpunkt der Überzahlung fällig geworden, wenn ihr die maßgeblichen Umstände bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen. Dies muß genau geprüft werden.
Bei einem Bankversehen kann davon nicht ohne weiteres von einer Kenntnis ausgegangen werden. Constanzia durfte sich darauf verlassen, daß das Geldhaus Fugger die 50.000 Euro richtig an den Goldschmied Dinglinger und nicht an den Baumeister Pöppelmann überweist. Pöppelmann kann deshalb im Zweifel sich nicht auf den Untergang des Rückzahlungsanspruchs von Constanzia durch die tariflichen Ausschlußfristen berufen.

4. Informationspflicht

Baumeister Pöppelmann hätte bei einer so drastischen Überzahlung gegenüber der Arbeitgeberin eine Informationspflicht besessen. Im Rahmen des Arbeitsverhältnisses besteht nicht nur eine Fürsorgepflicht der Arbeitgeberin, sondern auch eine Sorgfalts- und Treuepflicht des Arbeitnehmers. Bei auffälligen Überzahlungen muß der Arbeitnehmer regelmäßig die Arbeitgeberseite informieren und nachfragen, bevor er das Geld ausgibt.

5. Unzulässige Rechtsausübung

Die Berufung des Baumeisters Pöppelmann auf die tarifliche Ausschlußfrist oder vielleicht gar Verjährung bzw. den Rechtsuntergang stellt im Zweifel auch eine unzulässige Rechtsausübung nach § 242 BGB dar. Hat ein Arbeitnehmer es pflichtwidrig unterlassen, der Arbeitgeberin die Umstände mitzuteilen, die zu einer rechtzeitigen Geltendmachung des Rückzahlungsanspruches geführt hätten, so kann die Arbeitgeberin nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung erheben.
Voraussetzung ist allerdings, daß die Untätigkeit der Arbeitgeberin Constanzia durch die Unkenntnis der Gesamtumstände verursacht wurde. Dies war vorliegend der Fall. Die Unkenntnis ist Constanzia nicht vorzuwerfen, da wie mit dem Fehler des Bankhauses Fugger nicht rechnen mußte und durch das Stillhalten von Dingliner und Pöppelmann erst so spät von dem Malheur erfuhr.

6. Unverzügliches Tätigwerden

Erfährt Constanzia nachträglich von dem Bankfehler, so muß sie jedoch unverzüglich tätig werden und ihren Rückzahlungsanspruch gegenüber Pöppelmann geltend machen. Pöppelmann muß dann zahlen. Er ist um 50.000 Euro bereichert, da er insoweit seine Immobilienverbindlichkeiten auf Mallorca getilgt hat.

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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug