Folge 82: Schadenersatz bei Trunkenheit
Der Fall:
Arbeitgeberin Anette von Droste-Hülshoff beschäftigt den Fernfahrer Johann Wolfgang Goethe mit einem Gehalt von 2.000 Euro monatlich. Goethe fährt einen
Tanklastzug. In der Regel fährt er nüchtern. Als er wieder einmal angetrunken eine Fahrt durchführt, verunglückt er. Der Tankwagen lag in der Böschung, das Öl lief aus, der Gesamtschaden betrug 300.000 Euro. Die
Polizei stellte eine Blutalkoholkonzentration von 2,3 Promille bei Goethe fest. Arbeitgeberin Droste-Hülshoff will Schadenersatz in voller Höhe. Sie will das Einfamilienhaus von Goethe in Weimar versteigern
lassen, um an die 300.000 Euro zu kommen. Johann Wolfgang von Goethe ist am Boden zerstört. Er zittert, weil seine Frau Christiane Vulpius nicht ausziehen will.
Die Lösung
1. Vertragspflichtverletzung
Selbst Johann Wolfgang von Goethe sieht ein, daß seine Trunkenheitsfahrten im Dienst eine massive Vertragspflichtverletzung darstellen. Diese
Vertragspflichtverletzung ist auch kausal für den Unfall und damit für den Schaden in voller Höhe gewesen.
2. Mitverschulden der Arbeitgeberin
Ein Mitverschulden der Arbeitgeberin ist nicht zu erkennen. Etwas anderes wäre, wenn Annette von Droste-Hülshoff etwas von den Trunkenheitsfahrten gewußt
hätte und nicht entsprechend reagiert hätte. Dies war aber nicht der Fall. Der Alkoholiker Goethe konnte seine Verfehlung und Trunksucht jeweils gut verbergen.
3. Haftung des Arbeitnehmers
Sofern ein Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis Schäden verursacht, muß er generell dafür haften. Die Rechtsprechung hat allerdings wegen des vom Arbeitgeber zu
tragenden Betriebsrisikos die Haftung in bestimmten Fällen ausgeschlossen oder gemindert. Die Haftungsgrundsätze sehen wie folgt aus:
–Bei leichtester Fahrlässigkeit muß der Arbeitnehmer für den Schaden nicht haften, – bei normaler Fahrlässigkeit muß der Arbeitnehmer anteilig haften mit einer Quote, die nach den Umständen des Einzelfalles vom
Gericht festgelegt wird, –bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit muß der Arbeitnehmer in vollem Umfang haften.
4. Grobe Fahrlässigkeit
Bei grober Fahrlässigkeit handelt es sich um eine Sorgfaltspflichtverletzung in ungewöhnlich hohem Maße. Dabei muß eine besonders grobe und auch subjektiv
schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung gegeben sein. Grobfahrlässig handelt derjenige Arbeitnehmer, der das außer acht läßt, was jedem normalen Arbeitnehmer oder Verkehrsteilnehmer einleuchtet. Der
Trunkenbold Goethe hat den Schaden nicht vorsätzlich herbeigeführt. Trunkenheitsfahrten sind jedoch nach der Rechtsprechung stets als grob fahrlässig anzusehen. Für die dabei verursachten Schäden muß der Fahrer
generell haften. Goethe kann sich nicht herausreden. Jeder Verkehrsteilnehmer muß wissen, daß Alkoholfahrten in hohem Maße gefährlich und verwerflich sind. Das gilt erst Recht für den Berufskraftfahrer. Fahrer
Johann Wolfgang Goethe muß deshalb vom Grundsatz her für den Schaden von 300.000 Euro auch mit seinem Hausvermögen haften.
5. Haftungsminderung bei hohem Schadensrisiko
Die Rechtsprechung hat für den Fall der grob fahrlässigen Schadensverursachung Ausnahmen von der vollen Haftung dann gemacht, wenn der Arbeitnehmer eine
Tätigkeit mit einem besonders hohen Schadensrisiko verrichtet. Es muß berücksichtigt werden, daß viele Arbeitnehmer heutzutage aufgrund moderner Technologien teure Maschinen und Geräte bedienen. Ein Fehler kann dazu
führen, daß der Arbeitnehmer aufgrund des hohen Schadensrisikos lebenslang ruiniert ist. Schäden von Hunderttausenden oder Millionen Euros sind nicht selten. Aus diesem Grunde hat die Rechtsprechung
Haftungserleichterungen auch bei grober Fahrlässigkeit durchgesetzt, wenn die Vergütung des Arbeitnehmers in einem deutlichen Mißverhältnis zu dem Schadensrisiko zu seiner Tätigkeit steht. Deshalb ist vorliegend
zu prüfen, ob die Haftung des Gefahrgut-Fahrers Goethe deshalb zu mindern ist, weil er mit seinem Tankzug stets in der Gefahr steht, bei einem Unfall einen besonders hohen Schaden zu verursachen. Das besonders
hohe Schadensrisiko eines Lastzugfahrers ist nicht von der Hand zu weisen. Der tatsächlich eingetretene Schaden einerseits und das Gehalt von Goethe andererseits steht nicht in einem angemessenen Verhältnis. Aus
diesem Grunde muß Arbeitgeberin Annette von Droste-Hülshoff wegen des erhöhten Schadensrisikos eine Minderung ihres Schadensersatzanspruches hinnehmen. Bei der besonders groben Fahrlässigkeit von Goethe wäre eine
Schadenersatzpflicht von 1 Jahresgehalt, d.h. von 24.000 Euro angemessen. Goethe muß damit rechnen, bei einer Klage von Droste-Hülshoff vor dem Arbeitsgericht in dieser Höhe von 20.000 - 30.000 Euro verurteilt zu
werden.
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