Folge 45: Falsche Eingruppierung und falsche Bezahlung
Es kommt immer wieder vor, daß ein Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes, aber auch in der Privatwirtschaft die Tätigkeit eines Arbeitnehmers falsch einschätzt und ihn irrtümlich falsch eingruppiert. Dadurch entsteht
eine falsche Bezahlung. Die Frage ist, ob diese falsche Eingruppierung und Bezahlung nur durch Änderungskündigung oder auch einseitig von seiten des Arbeitgebers korrigiert werden darf.
Der Fall:
Der Hochmeister des Deutschen Ritterordens Konrad von Thüringen engagierte zum Bau der Elisabethkirche in Marburg den fremdländischen Baumeister Dehio. Als nach Jahren die Mauern immer
höher wuchsen, stellte Konrad von Thüringen fest, daß er den Baumeister Dehio versehentlich in die höchste Vergütungsgruppe des Bauhüttentarifvertrages für gotische Dombauwerke eingruppiert hatte. Aufgrund
der bescheideneren Ausmaße der Elisabethkirche wäre statt der Vergütungsgruppe 1 nur die niedrigere Vergütungsgruppe 2 gerechtfertigt gewesen. Das Gehalt von Dehio liegt demgemäß um 1.000 Euro pro Monat
geringer. Hochmeister Konrad von Thüringen will den Baumeister ab 1.1.2002 ohne Änderungskündigung niedriger eingruppieren. Dehio protestiert, er beruft sich auf seinen Vertrag.
Die Lösung:
1. Eingruppierung nach Tarif
Bei der Eingruppierung nach dem Dombauhüttentarifvertrag oder nach anderen Tarifverträgen (z.B. § 22 BAT) handelt es sich nicht um einen rechtsgestaltenden Akt. Vielmehr muß die
tatsächliche Tätigkeit bewertet werden und unter die Tätigkeiten des Tarifvertrages und seine Gruppen subsumierend eingeordnet werden. Es handelt sich dabei nicht um einen rechtsgestaltenden oder einen
rechtsbegründenden Akt, sondern um eine Zuordnung einer bestimmten Tätigkeit zu einer bestimmten Vergütungs- oder Fallgruppe.
2. Wissentliche Zubilligung höherer Vergütung
Etwas anderes gilt dann, wenn Arbeitgeber Konrad von Thüringen dem Baumeister Dehio eine höhere, nicht geschuldete Vergütung nach einer höheren Vergütungsgruppe mit Wissen und Wollen
zugebilligt hätte. Dann kann sich der Arbeitgeber nicht auf einen Irrtum berufen und nachträglich die Vertragsgrundlage revidieren. Eine Rückführung wäre dann nicht möglich. Auch ein ausreichender Rechtsgrund
für eine Verringerung der Vergütung durch Änderungskündigung wäre nicht ohne weiteres gegeben. Allerdings ist Hochmeister Konrad von Thüringen aufgrund seiner Stellung nicht ohne weiteres berechtigt gewesen,
bewußt dem Dombaumeister Dehio eine übertarifliche Vergütung zuzusagen und sich über den Tarifvertrag hinwegzusetzen. Dazu bestand auch kein Anlaß. Hochmeister Konrad wollte nur das gewähren, was der
Dombauhüttentarifvertrag vorsah.
3. Korrigierende Rückgruppierung statt Änderungskündigung
Wenn die Mitteilung der Vergütungsgruppe – wie hier – keine bewußte Zubilligung einer übertariflichen Vergütung darstellt, so darf der Arbeitgeber Konrad von Thüringen bei objektiver
Fehlerhaftigkeit der mitgeteilten Vergütungsgruppe die Vergütung des Arbeitnehmers für die Zukunft durch “korrigierende Rückgruppierung” auf das richtige Maß korrigieren. Diese objektive Fehlerhaftigkeit und
die Rückgruppierung setzt voraus, daß sich der Arbeitgeber tatsächlich geirrt hat, also unzutreffende Tatsachen zugrundegelegt hat und / oder eine objektiv unzureichende rechtliche Bewertung der tariflichen
Eingruppierungsmerkmale und der Tätigkeit vorgenommen hat. Achtung:
In diesem Falle ist keine Änderungskündigung nach § 2 Kündigungsschutzgesetz erforderlich. Baumeister Dehio kann sich nicht auf das Kündigungsschutzgesetz berufen. Allerdings muß der Betriebsrat des Dt. Ritterordens nach § 99 Betriebsverfassungsgesetz um Zustimmung zur neuen Eingruppierung ersucht werden.
4. Keine Rückwirkung
Die korrigierende Rückgruppierung besitzt keine Rückwirkung, d.h. Konrad von Thüringen kann von Dehio nicht verlangen, daß die ihm in der Vergangenheit zu viel gezahlten Beträge
zurückgezahlt werden. Dieses Geld darf Dehio behalten.
5. Streitfall
Wenn sich Dehio und Konrad von Thüringen nicht einig werden, so kann sich der Meister zunächst auf die vom Arbeitgeber mitgeteilte Vergütungsgruppe berufen. Im Prozeß muß Arbeitgeber
Konrad von Thüringen die objektive Fehlerhaftigkeit der vorgenommenen Eingruppierung darlegen und beweisen. Dabei liegt die objektive Fehlerhaftigkeit einer Eingruppierung schon dann vor, wenn z.B. eine
bestimmte Voraussetzung für die höhere Eingruppierung fehlt.
Beispiel:
Fernfahrer Junker Hans von der Schwalm ist in die Lohngruppe 13 eingruppiert, nach der zu mehr als 50 % LKW’s mit mehr als 12 t gefahren werden müssen. Junker Hans fährt allerdings
fast ausschließlich LKW’s bis zu 7,5 t.
Beispiel:
Die Vergütungsgruppe 1 für Dombaumeister gilt nach dem Dombautarifvertrag nur für die Errichtung von Kathedralen mit einer Scheitelhöhe des Mittelschiffes von mindestens 30 m Höhe. Da
die geplante und durchgeführte Scheitelhöhe des Mittelschiffes der Elisabethkirche nur 20 m beträgt, erfüllt Dehio diese tarifliche Voraussetzung der Vergütungsgruppe 1 nicht.
Gelingt dieser Nachweis, so liegt eine objektive Fehlerhaftigkeit der Eingruppierung vor.
6. Einwendungen des Arbeitnehmers
Hat der Arbeitnehmer Dehio gegen die gelungene Darlegung und den Nachweis des Arbeitgebers gleichwohl begründete Einwendungen, so muß er nun seine tragenden Einwendungen darlegen und
ggf. beweisen.
Beispiel:
Dehio wendet ein, daß er durch Konrad von Thüringen von der Dombaustelle Reims abgeworben wurde mit dem Versprechen der übertariflichen Vergütung nach der Vergütungsgruppe 1 des
internationalen Dombauhüttentarifvertrags. Nur unter dieser Bedingung habe er seine gute Arbeit in Reims aufgegeben.
Weist Baumeister Dehio durch entsprechende Urkunden oder Zeugen nach, so entfällt der Anspruch des Arbeitgebers auf Korrigierende Rückgruppierung.
7. Nachweisgesetz / EG-Nachweisrichtlinie
Sowohl das Nachweisgesetz von 1995 wie die EU-Nachweisrichtlinie 91/593 EWG des Rates vom 14.10.1991 verpflichten den Arbeitgeber dazu, alle wichtigen Merkmale des Arbeitsvertrages
schriftlich niederzulegen. Dies hat Hochmeister Konrad von Thüringen nicht getan. Gleichwohl ergeben sich aus dem Nachweisgesetz und der EU-Nachweisrichtlinie vom 14.10.1991 nach der derzeitigen
Rechtsprechung keine Sanktionen gegen den gesetzeswidrig handelnden Arbeitgeber. D.h., daß dieser Pflichtenverstoß des Konrad von Thüringen ohne Folgen bleibt. Es kann nach derzeitiger Rechtsprechung
insbesondere keine Beweiserleichterung für Dehio oder umgekehrt Beweislasterschwerung für den Arbeitgeber aus diesen Rechtsnormen gefolgert werden.
8. Checkliste
- Die Eingruppierung / Bezahlung von Arbeitnehmern erfolgt nach ihrer konkreten, vertraglich geschuldten Tätigkeit.
- Zahlt der Arbeitgeber freiwillig mehr, ist er daran gebunden (über- / außertarifliche Zulage).
- Bei irrtümlicher Fehleingruppierung darf der Arbeitgeber für die Zukunft die Vergütung neu und richtig festsetzen.
- Zur Neufestsetzung bedarf es keiner Änderungskündigung.
- Eine Rückzahlungspflicht des Arbeitnehmers bei irrtümlich zu hoher Vergütung gibt es generell nicht.
- Ausnahme: Die falsche Eingruppierung beruht auf falschen Angaben des Arbeitnehmers.
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