|
|
|
Hans-Gottlob-Ruehle.de Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle |
|
|
|
|
Hans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen, Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D., gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.
|
|
|
Folge 335: Schutz der schwerbehinderten Menschen VI
Frage:
Schwerbehinderte sind in vielfältiger Weise im gesellschaftlichen und betrieblichen Leben benachteiligt. Habe ich als
Behinderter oder Schwerbehinderter einen Anspruch darauf, daß ich bevorzugt im Betrieb gefördert werde, daß mein Arbeitsplatz behindertengerecht eingerichtet wird oder daß zumindest technische Arbeitserleichterungen
geschaffen werden? Unter Umständen wäre auch ein Anspruch auf Teilzeitarbeit hilfreich, um mir als Schwerbehinderten überhaupt noch eine Teilnahme am Arbeitsleben zu ermöglichen.
Der Fall:
Arbeitgeber George Bernhard Shaw beschäftigt mehrere schwerbehinderte Mitarbeiter. Diese machen nun ihm gegenüber
Ansprüche oder Verbesserungsvorschläge geltend. Der schwerbehinderte Schlosser Karl May möchte bei innerbetrieblichen Schulungen bevorzugt berücksichtigt werden. Der Buchhalter Karl Popper dagegen hat
besonderes Interesse an außerbetrieblichen Bildungsmaßnahmen, z.B. Türkischkurse in Antalia oder Schulungen in SAP-Software. Der schwerbehinderte Kreativdirektor Marcel Duchamp verlangt eine
behindertengerechte Ausstattung seines Arbeitsplatzes, insbesondere einen entsprechend geeigneten Bürostuhl. Der Produktionsarbeiter Ludwig Feuerbach dagegen verlangt technische Hilfen beim Heben und
Transportieren von schweren Gegenständen. Arbeitgeber George Bernhard Shaw sieht sich überfordert und hält die von ihm verlangten Aufwendungen für völlig überzogen und zumutbar. Er will schließlich Geld
verdienen und keine Sozialanstalt betreiben.
Die Lösung:
1. Bevorzugung bei Bildungsmaßnahmen
Der Gesetzgeber hat in § 81 Abs. 4 Ziff. 2 und 3 Sozialgesetzbuch IX eine bevorzugte Berücksichtigung von
schwerbehinderten Mitarbeitern bei Bildungsmaßnahmen vorgesehen. So ist in Ziff. 2 geregelt, daß schwerbehinderte Menschen bei innerbetrieblichen Maßnahmen der beruflichen Bildung zur Förderung ihres
beruflichen Fortkommens bevorzugt zu berücksichtigen sind. Insofern hat der Schlosser Karl May einen Anspruch gegen Arbeitgeber Shaw. In Ziff. 3 ist bestimmt, daß Erleichterungen in zumutbarem Umfang zur
Teilnahme an außerbetrieblichen Maßnahmen der beruflichen Bildung für schwerbehinderte Mitarbeiter zu schaffen sind. Der Buchhalter Karl Popper kann deshalb vom Arbeitgeber Shaw zumindest verlangen, daß er ihn
ggf. unbezahlt freistellt, um an außerbetrieblichen Maßnahmen der beruflichen Bildung teilzunehmen. Ob Türkischkurse in Antalia dazu gehören, könnte bei einem Buchhalter jedoch sehr fraglich sein.
2. Behindertengerechte Ausstattung des Arbeitsplatzes
Der Gesetzgeber hat weiter in § 81 Abs. 4 Ziff. 4 SGB IX bestimmt, daß schwerbehinderte Arbeitnehmer gegen ihren
Arbeitgeber einen Anspruch auf behinderungsgerechte Einrichtung und Unterhaltung der Arbeitsstätten besitzen, einschließlich der Betriebsanlagen, Maschinen und Geräte. Dieser Anspruch auf behinderungsgerechte
Arbeitsstätten bezieht sich auch auf die Gestaltung der Arbeitsplätze, des Arbeitsumfeldes, der Arbeitsorganisation und der Arbeitszeit, insbesondere unter Berücksichtigung der Unfallgefahr. Kreativdirektor
Marcel Duchamp hat deshalb Recht, wenn er einen behindertengerechten Stuhl vom Arbeitgeber verlangt. Der Arbeitgeber Shaw muß diesen zur Verfügung stellen, soweit es ihm wirtschaftlich zumutbar ist. Darüber
hinaus hat der Gesetzgeber in Ziff. 5 dieser Vorschrift bestimmt, daß schwerbehinderte Arbeitnehmer einen Anspruch auf Ausstattung ihres Arbeitsplatzes mit den erforderlichen technischen Arbeitshilfen besitzen.
Dabei handelt es sich z.B. um mechanische oder technische Hebehilfen, aber auch bei Sehschwäche um entsprechende Sehgeräte, bei Gehörstörungen um entsprechende Hörhilfen etc. Produktionsarbeiter Ludwig
Feuerbach kann deshalb durchaus verlangen, daß im Rahmen des Zumutbarem ihm Hebehilfen zur Verfügung gestellt werden. Dies ist auch im Interesse des Arbeitgebers, der dadurch neue Erkrankungszeiten vermeiden
kann.
3. Unterstützung durch BA und Integrationsamt
Bei der Durchführung dieser Maßnahmen zugunsten von schwerbehinderten Mitarbeitern hat der Arbeitgeber Anspruch auf
Unterstützung durch die Bundesagentur für Arbeit sowie die Integrationsämter. Insbesondere beim Integrationsamt bestehen gesonderte Fonds, die ausschließlich dazu bestimmt sind, solche Maßnahmen zugunsten von
behinderten Mitarbeitern am Arbeitsplatz finanziell zu unterstützen.
4. Wirtschaftliche Zumutbarkeit
Die vom Gesetzgeber normierten Ansprüche der schwerbehinderten Mitarbeiter bestehen jedoch nach § 81 Abs. 4 Satz 3 SGB IX
dann nicht, wenn die Erfüllung dieser Ansprüche dem Arbeitgeber nicht zumutbar ist oder die Erfüllung mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden wäre. Ein Anspruch besteht auch dann nicht, wenn staatliche
oder berufsgenossenschaftliche Arbeitsschutzvorschriften oder beamtenrechtliche Vorschriften dem entgegenstünden. Arbeitgeber Bernhard Shaw darf deshalb prüfen, ob die von seinen Mitarbeitern von ihm
verlangten Maßnahmen ihm organisatorisch, technisch und wirtschaftliche möglich und zumutbar sind oder nicht. Lehnt er Maßnahmen aus einem dieser Gründe ab, so muß er die Ablehnung entsprechend begründen. Die
Mitarbeiter können dagegen klagen. Es empfiehlt sich deshalb dringend, vor einer Ablehnung genau zu prüfen. Der Arbeitgeber muß dann, wenn ihm die Maßnahme zu teuer oder zu aufwendig erscheint, stets zunächst
versuchen, entsprechende Hilfen und Unterstützungen von seiten der Bundesanstalt für Arbeit oder des zuständigen Integrationsamtes zu bekommen. Im Zweifel wird er damit bei berechtigten Anliegen auch erfolgreich
sein. Somit scheidet in diesen Fällen die Ablehnung der Anträge wegen unverhältnismäßiger wirtschaftlicher Aufwendung i.d.R. aus.
5. Förderung der Teilzeitarbeit
Der Gesetzgeber hat weiter zugunsten der schwerbehinderten Mitarbeiter in § 81 Abs. 5 SGB IX bestimmt, daß Arbeitgeber die
Einrichtung von Teilzeitarbeitsplätzen für Schwerbehinderte zu fördern haben. Sie müssen dabei von dem zuständigen Integrationsamt unterstützt werden. Nach § 81 Abs. 5 Satz 3 SGB IX haben schwerbehinderte
Menschen einen Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung, wenn diese kürzere Arbeitszeit wegen der Art oder der Schwere der Behinderung notwendig ist. Allerdings ist auch hier zu berücksichtigen, ob die Einrichtung der
Teilzeitarbeit dem Arbeitgeber technisch und organisatorisch möglich und insgesamt zumutbar ist. Ein allgemeiner Anspruch aller Arbeitnehmer auf Reduzierung ihrer Arbeitszeit ergibt sich bereits aus § 8
Teilzeit- und Befristungsgesetz. Der in § 81 Abs. 5 SGB IX geregelte Anspruch der schwerbehinderten Mitarbeiter auf Teilzeitarbeit ist spezieller und mit weniger Ablehnungsmöglichkeiten des Arbeitgebers
versehen. Auch insofern hat der Gesetzgeber in diesem Punkt versucht, die Arbeit von schwerbehinderten Menschen zu fördern.
6. Fazit
Der Gesetzgeber hat einerseits den schwerbehinderten Mitarbeitern verschiedene Möglichkeiten der Förderung zugestanden,
die andere Mitarbeiter nicht besitzen. Dies hat seinen guten Grund darin, daß schwerbehinderte Menschen im Arbeitsleben von vorneherein benachteiligt sind. Diese Benachteiligung folgt nicht nur aus ihrer
Behinderung, sondern daraus, daß schwerbehinderten Mitarbeitern regelmäßig weniger Leistungsfähigkeit zugetraut wird. Andererseits aber hat der Gesetzgeber bestimmt, daß der Arbeitgeber bei den zu
erbringenden Zusatzleistungen von den zuständigen Behörden, insbesondere von der Bundesanstalt für Arbeit und von den zuständigen Integrationsämtern finanziell und auf andere Weise zu unterstützen ist. Hier hat
der Arbeitgeber wiederum eine Handhabe, Unterstützung durch die entsprechenden Behörden einzufordern.
>> Nächste Folge << Zurück zur Übersicht
|
|
|
|
|
Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle: Reine Linkverweise ohne Einschränkung/Begrenzung. Bitte kopieren Sie dazu die URL aus der Browserzeile.
Wörtliche Textzitate: Ohne Rücksprache bis 2 Absätze aus bis zu 10 Folgen jew. mit Linkverweis. Weitergehende Textübernahmen nur mit schriftlicher Genehmigung. Wichtiger Hinweis:
Bitte keine e-mails mit konkreten Rechtsfragen einsenden, da diese nicht beantwortet werden können.
|
Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:
|
Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
|
|
|
|
|
|
Arbeitsrecht von H.G. Rühle
Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen: Folge 1 - 100 Folge 101 - 200 Folge 201 - 300 Folge 301 ff.
|
Folgenübersicht:
|
1 - 12: Freie Bewerberauswahl? Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch
13 - 24: Psych. Gutachten Gentest Assessment Center Neues Befristungsrecht /
Teilzeitarbeit (TzBfG)
25 - 36: Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG) Neues im Erziehungsrecht
37 - 48: Berufsschule/Freistellung Dumpinglöhne Kündigung/soz. Aspekte Mobbing
49 - 60: Das Arbeitszeugnis Zeugnisgrundsätze Zeugnissprache Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung
61 - 72: Kündigung/Kopftuchtragen Blutuntersuchungen
73 - 84: Abmahnung Andere Sanktionen
85 - 96: Betriebl. Altersversorgung Betriebsrente “Riester-Rente”
Entgeltumwandlung
97 - 108: Forts. “Riester-Rente” Weihnachtsgratifikation Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen Krankheitsvertretung
109 - 120: Lohngrundsätze I-V Nebentätigkeitsverbot Mobbing I-VI
121 - 132: Kündigung - was tun? Checkliste
133 - 144: Kündigung - was tun? Soll ich klagen? Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?
145 - 156: Neues Kündigungsrecht 2004
157 - 168: Neues Kündigungsrecht Sozialauswahl Klagefrist Neuregelung TzBfG
169 - 180: Hartz IV Ein-Euro-Job
181-192: Ein-Euro-Job Forts. Ausgleichsquittung / unzulässiger Lohnverzicht
193 - 204: Betriebsausflug Elternzeit Betriebsübergang
205 - 216: Betriebliche Mitarbeiterkontrollen Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz
217 - 228: Neue Gewerbeordnung Gebetspausen
228 - 240: Neue Sperrzeitprobleme Beendigungsvergleich
241 - 252 Ethik-Regeln I-XII
253 - 264 Hitzeregelungen Internetnutzung (Kündigung)
265 - 276 Nebentätigkeiten Arbeit auf Abruf
277 - 288 Arbeitslosengeld - Sperrfrist Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld
289 - 300 Arbeitsrechtliche Schwellenwerte Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
301 - 312 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
313 - 323 Sittenwidrige Vergütung
324 - 335 Schutz der behinderten Menschen
336 - 347 Schutz der behinderten Menschen Annahmeverzug
|
|
|