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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 280: Arbeitslosengeld – Sperrzeit II

Der Fall

    Die leidenschaftliche Arbeitnehmerin Simone Beauvoir geriet mit ihrer Arbeitgeberin Maria Callas so in Streit, daß beide nur noch Arien von sich gaben. Über den Anlaß des Streits konnten beide Kontrahentinnen keine genauen Angaben mehr machen. Jedenfalls beendete Simone Beauvoir die disharmonische Polyphonie mit dem Bemerken: „In diesem Orchester flöte ich nicht mehr mit.“ Sodann zog sie eine schriftliche fristlose Kündigung aus ihrem Dekoltee und verließ postwendend und für immer die Bühne.
    Alexander Mitscherlich diente immer treu seinem Arbeitgeber Sigmund Freud. Als dieser aber zum wiederholten Male mit dem Lohn mehr als 3 Monate im Rückstand war, kündigte Alexander Mitscherlich das Arbeitsverhältnis, um bei Wilhelm Reich eine neue Existenz zu beginnen. Leider war dieser auch pleite. Mitscherlich mußte sich wie Simone Beauvoir arbeitslos melden.
    Arbeiter Emil Zatopek zeigte seinen Arbeitgeber Harry Belafonte ohne Vorankündigung bei der Gewerbeaufsicht an, weil er zum zweiten Mal unerlaubte Sonntagsarbeit leisten mußte.
    Arbeitnehmer Willy Birgel wies seinen Arbeitgeber Gustav Gründgens seit zwei Jahren vergeblich darauf hin, daß das von ihm geleitete Lager für Feuerwerkskörper und Sprengstoffe in einem Wohngebiet jeglicher Sicherheitsvorkehrungen entbehre und höchste Explosionsgefahr bestehe. Da Arbeitgeber Gründgens sich dafür überhaupt nicht interessierte, zeigte Willy Birgel den Arbeitgeber schließlich bei der Gewerbeaufsicht und der Polizei an.
    Die Arbeitgeber Belafonte und Gründgens warfen ihre Mitarbeiter Zatopek und Birgel jeweils fristlos raus. Alle 4 Arbeitnehmer meldeten sich bei der Arbeitsagentur Marburg pflichtgemäß arbeitslos mit dem Begehren um Arbeitslosengeld.
    Die Arbeitsagentur verhängte jedoch für alle 4 Arbeitnehmer eine Sperrzeit von 12 Wochen.
    Dagegen wenden sich die Arbeitnehmer. Sie halten die Sperrzeitregelung für ungerecht bzw. falsch. Simone Beauvoir wies nach, daß sie von ihrer Chefin Callas vor dem Streit mehrfach tief gedemütigt worden war. Die Callas habe sogar versucht, ihren Lebensgefährten Jean Paul Sartre zu verführen.
    Ist die Sperrzeit berechtigt?

Die Lösung

1. Wichtiger Grund

    Die Arbeitsagentur darf eine Sperrzeit trotz Vorliegens eines Sperrzeittatbestandes nach § 144 Abs. 1 Ziff. 1-7 SGB III dann nicht verhängen, wenn der Arbeitnehmer oder der Arbeitslose einen wichtigen Grund für sein versicherungswidriges Verhalten hatte.
    Ist die Arbeitsagentur mißtrauisch oder glaubt sie nicht, muß der Arbeitnehmer oder Arbeitslose alle für die Beurteilung des wichtigen Grundes maßgebenden Tatsachen darlegen und nachweisen, wenn diese Tatsachen streitig sind oder von der Arbeitsagentur nicht anerkannt werden. Diesen Nachweis muß der Betreffende jedenfalls dann erbringen, wenn die Tatsachen dafür in seiner Sphäre oder in seinem Verantwortungsbereich liegen.

2. Dauer der Sperrzeit

    - Die Dauer der Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe beträgt 12 Wochen. Sie kann auf 3 Wochen bzw. auf 6 Wochen verkürzt werden, wenn das Arbeitsverhältnis innerhalb kurzer Zeit nach der vorliegenden Beendigung ohnehin geendet hätte. Die Sperrzeit kann auch dann auf 6 Wochen verkürzt werden, wenn eine Sperrzeit von 12 Wochen für den Arbeitslosen eine besondere Härte bedeuten würde.
    - Die Dauer der Sperrzeit bei Arbeitsablehnung oder Abbruch einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme kann je nach Tatbestand 3 Wochen, 6 Wochen oder 12 Wochen betragen.
     Dies gilt auch für den arbeitssuchend gemeldeten Arbeitnehmer, der sich noch im Arbeitsverhältnis befindet, aber z.B. wegen erfolgter Kündigung schon neue Arbeit sucht.
    - Bei unzureichenden Eigenbemühungen um eine neue Arbeit beträgt die Dauer der Sperrzeit 2 Wochen.
    - Bei Meldeversäumnis oder verspäteter Arbeitssuchendmeldung beträgt die Dauer der Sperrzeit 1 Woche.

3. Simone B.

    Simone Beauvoir hat ein unbefristetes Arbeitsverhältnis selbst gekündigt. Sie muß mit einer Sperrzeit von 12 Wochen rechnen. Diese kann vielleicht auf 6 Wochen abgekürzt werden, wenn die volle Sperrzeit für sie eine besondere Härte darstellt, weil der Eigenkündigung fortgesetzte Demütigungen durch Arbeitgeberin Callas vorausgingen.
    Im Falle von fortgesetztem, nachweisbarem Mobbing durch die Arbeitgeberin könnte auch ein wichtiger Grund vorliegen, der das versicherungswidrige Verhalten von Simone rechtfertigt und zum gänzlichen Wegfall der Sperrzeit führt. Dies müßte aber bewiesen werden.

4. Alex M.

    Alex Mitscherlich hat zwar mit seiner Eigenkündigung ein versicherungswidriges Verhalten an den Tag gelegt. Die Eigenkündigung führt zumeist zu einer Sperrzeit. Er kann sich nicht darauf berufen, daß er bei Wilhelm Reich ein anderes Arbeitsverhältnis in Aussicht hatte. Für den Erfolg oder Mißerfolg seiner Arbeitsbemühungen ist er zunächst selbst verantwortlich. Zu kündigen ohne ein anderes Arbeitsverhältnis fest vereinbart zu haben, ist stets ein versicherungswidriges und grob fahrlässiges Verhalten.
    Achtung: Mitscherlich hatte aber einen wichtigen Grund zur Eigenkündigung, der dazu führt, daß ihm keine Sperrzeit von der Arbeitsagentur verhängt werden durfte. Sein Arbeitgeber Sigmund Freud befand sich nämlich zum wiederholten Male mit mehr als 3 Monatsgehältern im Verzug. Unter diesen Umständen war es Mitscherlich nicht zuzumuten, bei Sigmund Freud weiterzuarbeiten.

5. Emil Z.

    Emil Zatopek hätte seinen Arbeitgeber Belafonte nicht einfach bei der Gewerbeaufsicht anzeigen dürfen. Macht der Arbeitgeber von seinem Direktionsrecht vertrags- oder gesetzeswidrig Gebrauch, so muß der Arbeitnehmer nach ständiger Rechtsprechung sich zunächst beim Arbeitgeber beschweren und um Abhilfe nachsuchen. Verweigert der Arbeitgeber diese Abhilfe, so hat der Arbeitnehmer ein Leistungsverweigerungsrecht.
    Es ist klar, daß das Leistungsverweigerungsrecht in vielen Fällen eher „auf dem Papier“ existiert, weil der Arbeitnehmer so die (fristlose) Kündigung riskiert. Gleichwohl will das Bundesarbeitsgericht den Einstieg in ein Denunziantenverhalten ohne entsprechenden Notstand auf diese Weise verhindern.
    Das bedeutet, daß Emil Zatopek mit einer Sperrzeit zu rechnen hat. Eventuell kann eben diese Sperrzeit wegen besonderer Härte auf 6 Wochen abgekürzt werden.

6. Willy B.

    Ist der Arbeitnehmer bei seinem Arbeitgeber immer wieder vergebens vorstellig geworden und liegt eine massive Gefährdung der Umwelt oder der Allgemeininteressen vor, so ist eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses trotz Anzeige unzulässig. In diesem Falle hatte Arbeitnehmer Willy Birgel einen wichtigen Grund für sein an sich versicherungswidriges Verhalten. Ihm darf deshalb keine Sperrzeit verhängt werden.

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Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug