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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 222: Kündigung wegen Diebstahl I

Der Fall

    Greta Garbo ist als Filialleiterin im Drogeriemarkt einer Kette seit 2 Jahren beschäftigt. Sie hat 3 Untergebene.
    Es besteht die Personalanweisung an alle, sowohl bei Personalkauf in der Filiale wie auch bei dem Einbringen persönlicher Waren in die Filiale jeweils eine schriftliche Gegenzeichnung bzw. Bestätigung einer Arbeitskollegin einzuholen. Für die mitgebrachten oder in der Filiale gekauften Zigarettenschachteln läßt sie weisungswidrig niemanden gegenzeichnen.
    Wegen immer höherer Inventurdifferenzen, insbesondere auch im Zigarettenbereich ließ die Arbeitgeberin eine große Sendung Zigaretten heimlich markieren und die Chargennumerierung der Schachteln schriftlich festhalten.
    Bei einer späteren Taschenkontrolle wurde bei Greta eine Schachtel Zigaretten im Wert von 3,25 Euro gefunden. Die Zigarettenmarke wurde in der Filiale verkauft. Die Zigarettenschachtel war markiert und wies die vorher festgehaltene Chargennummer auf. Greta bestritt in einer Anhörung alle Vorwürfe. Sie behauptete, die Zigaretten an einer Tankstelle gekauft zu haben. Ggf. sei ihr die Schachtel von einer Kollegin untergeschoben worden. Im übrigen solle sich die Arbeitgeberin nicht so anstellen, da es sich nur um eine geringwertige Ware handele.
    Die Arbeitgeberin kündigte gleichwohl fristlos wegen Diebstahls bzw. wegen des dringenden Diebstahlverdachtes.
    Greta hält die Kündigung für unwirksam.

Die Lösung

1. Kündigungsschutz

    Findet das Kündigungsschutzgesetz in einem Unternehmen keine Anwendung und besitzt die Arbeitnehmerin keinen besonderen Kündigungsschutz (z.B. wegen Schwangerschaft, Betriebsratszugehörigkeit, Schwerbehinderung), so kann die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis stets ohne besonderen Kündigungsgrund ordentlich kündigen.
    Gilt dagegen das Kündigungsschutzgesetz, so kann die Arbeitgeberin nach § 1 Abs. 2 KSchG nur aus betriebsbedingten, verhaltensbedingten oder personenbedingten Gründen das Arbeitsverhältnis ordentlich kündigen. Diese Gründe müssen im Zweifel dargelegt und nachgewiesen werden.
    Eine außerordentliche, fristlose Kündigung kann nach § 626 Abs. 1 BGB nur ausnahmsweise bei Vorliegen eines wichtigen Grundes von der Arbeitgeberin ausgesprochen werden. Hier muß die Arbeitgeberin im Streit diesen wichtigen Kündigungsgrund beweisen.
    Das Kündigungsschutzgesetz findet in einem Unternehmen Anwendung, wenn dort mehr als 5 bzw. 10 Vollzeitarbeitnehmer (Teilzeitarbeitnehmer werden umgerechnet) beschäftigt sind. Im Drogerieunternehmen von Greta mit vielen Filialen sind Hunderte beschäftigt. Sie genießt aufgrund der Beschäftigungsdauer von mehr als 6 Monaten deshalb Kündigungsschutz.

2. Verhaltensbedingte Kündigung

    Nach § 1 Abs. 2 KSchG darf die Arbeitgeberin bei Vorliegen verhaltensbedingter Kündigungsgründe kündigen, wenn die Kündigungsgründe ausreichend und schwerwiegend sind.
    Verhaltensbedingte Kündigungsgründe beinhalten in der Regel eine Vertragsverletzung gegenüber dem Arbeitgeber. Denkbar ist aber auch, daß dem Arbeitnehmer ein Fehlverhalten gegenüber Arbeitskollegen oder dritten Personen vorgeworfen wird (z.B. im Mobbing-Fall).
    Eine verhaltensbedingte Kündigung ist dann gerechtfertigt, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund deren unter Berücksichtigung der Interessen beider Seiten es der Arbeitgeberin unzumutbar ist, das Arbeitsverhältnis über das Ende der ordentlichen Kündigungsfrist hinaus fortzusetzen. Die vorgeworfenen Tatsachen müssen stets einen Bezug zum Betrieb haben. Außerdienstliche Fehlverhaltensweisen rechtfertigen eine Kündigung nur, wenn sie Rückwirkungen auf den Betrieb haben.

3. Abgestuftes Verfahren

    Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgt, daß die Arbeitgeberin bei Vertragsverletzungen in der Regel nicht sofort kündigen darf. Vielmehr muß sie die Arbeitnehmerin zuvor abmahnen, soweit dies zumutbar und erfolgversprechend scheint. Eine Abmahnung ist nur dann entbehrlich, wenn diese das fehlende Vertrauen nicht mehr ersetzen kann. Dies gilt vor allem für Vertragsverletzungen durch strafbare Handlungen. Hier muß die Arbeitgeberseite regelmäßig vor einer Kündigung nicht abmahnen.
    Bei den meisten Pflichtverletzungen muß der Arbeitgeber vor einer Kündigung in der Regel die Arbeitnehmerseite mehrfach abmahnen. Die Zahl der notwendigen Abmahnungen richtet sich nach der Schwere der Vorwürfe und kann nicht generalisierend auf 2 oder 3 Abmahnungen festgesetzt werden.
    Achtung: Abmahnungen sollten aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtsklarheit und der Beweisbarkeit möglichst immer schriftlich ausgesprochen werden. Der Zugang sollte ebenfalls möglichst schriftlich mit Datum festgehalten bzw. quittiert werden.

4. Außerordentliche, fristlose Kündigung

    In § 626 Abs. 1 BGB hat der Gesetzgeber bestimmt, daß das Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grunde ohne Einhalten einer Kündigungsfrist außerordentlich gekündigt werden darf, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer der Kündigende unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.
    Leider werden in der Praxis viel zu schnell und zu häufig außerordentliche, fristlose Kündigungen ausgesprochen. Diese Kündigungsart ist vom Gesetzgeber nur für besonders schwere Fälle der Vertragsverletzung, insbesondere für den Fall der strafbaren Handlungen gedacht. Der „wichtige Grund“, d.h. der Kündigungsvorwurf muß so schwerwiegend sein, daß das Vertrauensverhältnis völlig zerstört ist und der Arbeitgeberseite selbst die Einhaltung der Kündigungsfrist aufgrund der Schwere der Tat nicht mehr zumutbar ist.
    Tipp: Der Gesetzgeber hat dem Arbeitgeber für die fristlose Kündigung eine Ausschlußfrist von 2 Wochen gesetzt, innerhalb derer er diese Kündigung nach Kenntnis der Vertragsverletzung und der Umstände aussprechen muß. Da ein gewisser Überlegungszeitraum vom Gesetzgeber eingeräumt ist, sollte die Arbeitgeberin stets vor Ausspruch der fristlosen Kündigung wenigstens eine Nacht darüber schlafen. Spontankündigungen sind sehr oft problematisch. Außerdem empfiehlt es sich dringend, vor Ausspruch der fristlosen Kündigung die Arbeitnehmerin anzuhören.
    Im vorliegenden Falle hat die Arbeitgeberin fristlos wegen einer Straftat gekündigt. Sollte der Vorwurf richtig sein, war eine vorangegangene Abmahnung nicht erforderlich.
     

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Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug