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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 16:  Kinderkrankheit - Recht zur Freistellung bis 50 Tage

Immer mehr Alleinerziehende, Frauen wie Männer, aber auch Ehepaare mit doppelter Berufstätigkeit haben Probleme, wenn ihre Kinder erkranken. Dies gilt auch dann, wenn Angehörige erkranken.
Für diese Fälle gibt es im Arbeitsverhältnis für Familien mit Kindern oder Angehörigen mehr Hilfen, als im allgemeinen bekannt ist.


Der Fall:

    Ella Rehbein ist Alleinerziehende mit zwei Kindern: Florian ist 3 Jahre alt und Nepomuk 10 Jahre alt. Beide Kinder erkranken an einer Fieberattacke. Der Arzt besteht darauf, daß Ella bei den Kindern bleibt und nicht zur Arbeit geht.
    Da Ella Rehbein keinen Urlaub mehr hat, will sie vom Arbeitgeber Fritz Sauer frei bekommen. Hans Frost lehnt ab. Als Ella zur Pflege der Kinder 2 Wochen zu Hause bleibt, kündigt Hans Frost fristlos. Zu Recht? Wovon soll Ella Miete bezahlen?
    Als die kinderreiche Maria Magdalena das Arbeitsverhältnis beginnt, läßt Hans Frost sie eine Erklärung unterzeichnen. Damit verzichtet sie bei Erkrankung ihrer Kinder auf Freistellung. Maria Magdalena hat fünf Kinder und will bei der Erkrankung jedes Kindes am Krankenbett verweilen. 


Die Lösung:

1. Anspruch auf Krankengeld

    Nach § 45 Abs. 1 Sozialgesetzbuch V haben Ella und Maria gegen ihre Krankenkasse einen Anspruch auf Krankengeld bei der Erkrankung ihrer Kinder. Voraussetzung dafür sind:
    – die Betreuungsperson muß krankenversichert sein,
    – nach ärztlichem Zeugnis muß die Pflege erforderlich sein,
    – die Pflegeperson bleibt der Arbeit fern,
    – eine andere, im Haushalt lebende Person kann das Kind nicht pflegen oder betreuen,
    – das kranke Kind hat das 12. Lebensjahr noch nicht vollendet.

2. Freistellungsanspruch gegen Arbeitgeber Frost

    Nach § 45 Abs. 3 Sozialgesetzbuch V haben Ella Rehbein und Maria Magdalena gegen den Arbeitgeber Frost einen gesetzlichen Anspruch auf unbezahlte Freistellung. Voraussetzung für diesen Freistellungsanspruch ist ein gleichzeitiger Anspruch auf Krankengeld bzw. auf das Vorliegen aller Voraussetzungen für einen Anspruch auf Krankengeld.
    Es ist deshalb rechtswidrig, wenn Arbeitgeber Frost den Freistellungsanspruch den Arbeitnehmerinnen bei Kindeserkrankungen verweigert. Außerdem ist es rechtswidrig, wenn Arbeitgeber Hans Frost von der Arbeitnehmerin Ella Rehbein in der Vergangenheit verlangt hat, bei Kindeserkrankung den Erholungsurlaub zu nehmen.

3. Kein Kündigungsrecht

    § 45 Abs. 3 Sozialgesetzbuch V gewährt den Arbeitnehmern bei Erkrankung eines Kindes nicht nur einen Anspruch auf Freistellung von der Arbeit. Bei rechtswidriger Verweigerung der Freistellung durch den Arbeitgeber kann die Arbeitnehmerin sogar ohne Sanktion eigenmächtig von der Arbeit fernbleiben. Dies gilt deshalb, weil der Arbeitgeber in diesem Falle Rechtsbruch begeht.
    Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber Hans Frost wegen Ausübung dieses “Zurückbehaltungsrechtes” ist nichtig. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Arbeitgeber Hans Frost seine Verpflichtungen zur Freistellung der Arbeitnehmerin kannte oder nicht.
    Klagt also Ella Rehbein gegen die fristlose Kündigung, so wird Arbeitgeber Hans Frost den Prozeß verlieren. Er muß Ella weiterbeschäftigen und ihr den Lohn nachzahlen.

4. Dauer der Freistellung

    Die Dauer des Freistellungsanspruches ist in § 45 Abs. 2 Sozialgesetzbuch V geregelt.
    Nach dem Gesetz besteht für jedes kranke Kind pro Jahr ein Freistellungsanspruch von längstens 10 Arbeitstage.
    Für alleinerziehende Arbeitnehmer und Versicherte, wie für Ella Rehbein, verlängert sich dieser Freistellungsanspruch pro Kind auf längstens 20 Arbeitstage pro Jahr.
    Der Gesetzgeber hat den Gesamtanspruch für eine Freistellung auf jährlich 25 Arbeitstage für alle Kinder zusammen begrenzt. Für alleinerziehende Versicherte beträgt die Freistellungsgrenze 50 Arbeitstage.
    Daraus folgt, daß Ella Rehbein maximal 40 Arbeitstage pro Jahr Freistellung vom Arbeitgeber verlangen kann. Die kinderreiche Maria Magdalena kann bei der Erkrankung ihrer 5 Kinder maximal 25 Arbeitstage Freistellung verlangen. Sofern Maria Magdalena Alleinerziehend wäre, könnte sie insgesamt maximal 50 Arbeitstage pro Jahr freigestellt werden.

5. Ausschluß des Freistellungsanspruchs

    Es ist unzulässig, wenn Hans Frost versucht, diesen gesetzlichen Freistellungsanspruch durch Arbeitsvertrag oder auf andere Weise auszuschließen oder zu begrenzen. § 45 Abs. 3 Satz 3 Sozialgesetzbuch V verbietet dies ausdrücklich.
    Dies bedeutet für die kinderreiche Maria Magdalena, daß sie trotz einer entsprechenden schriftlichen Verzichtserklärung von ihrem Arbeitgeber Frost verlangen kann, daß sie im Falle einer Erkrankung ihrer Kinder bis zu 25/50 Arbeitstage pro Jahr unbezahlt freigestellt wird.

6. Unbezahlte Freistellung/Krankengeld

    Für diese Freistellungszeiträume nach dem Sozialgesetzbuch muß der Arbeitgeber keine Vergütung bezahlen. Die Arbeitnehmerinnen können vom Arbeitgeber insoweit nur eine unbezahlte Freistellung verlangen.
    Die fehlende Vergütung wird dann durch den Krankengeldanspruch gegen die Krankenkasse ausgeglichen. Da das Krankengeld sich der Höhe des Nettolohnes annähert, ist der Verdienstausfall nicht allzu hoch. Ella Rehbein muß deshalb nicht ohne Einkommen während der Pflege ihrer Kinder bleiben.
    Bezahlte Ausnahme: In einigen Tarifverträgen gibt es von dieser Regel eine Ausnahme, z.B. im Bundesangestelltentarifvertrag (öffentlicher Dienst). Danach gibt es einen Anspruch auf bezahlte Freistellung für 5 Tage. In diesem Falle kann die Arbeitnehmerin dann allerdings neben dem Tarif-Lohn kein Krankengeld von der Krankenkasse verlangen.

7. Geringbeschäftigte/Aushilfen

    Streitig ist, ob geringbeschäftigte Arbeitnehmer (bis zu 15 Std. pro Woche mit nicht mehr als 630 DM pro Monat) ebenfalls einen Anspruch auf Freistellung besitzen.
    Der gesetzliche Freistellungsanspruch erstreckt sich nämlich nur auf Arbeitnehmer mit Anspruch auf Arbeitnehmer mit Anspruch auf Krankengeld. Von der Regelung des § 45 Sozialgesetzbuch V sind die sozialversicherungsfreien Arbeitnehmer, die “Geringbeschäftigten”, nicht automatisch umfaßt.
    Sofern keine Krankenversicherungspflicht besteht oder sofern bei Geringbeschäftigten trotz der Pflicht zur Abführung von Pauschal-Versicherungsbeiträgen durch den Arbeitgeber ein eigenes Recht der Versicherten nicht entstehen, ist streitig, ob der Freistellungsanspruch ebenfalls greift. Meines Erachtens liegt hier jedoch der Fall des Gleichbehandlungsgrundsatzes vor, nach dem auch Geringbeschäftigte nicht schlechter gestellt werden dürfen, als die anderen Vollzeit- und Teilzeitkräfte. Außerdem spricht auch das Diskriminierungsverbot des Art. 119 EG-Vertrag dafür, daß Geringbeschäftigte insoweit nicht benachteiligt werden dürfen. Gerade jüngst hat insoweit der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Rechte der Geringbeschäftigten gestärkt. Außerdem verbietet § 4 Abs. 1 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) seit dem 1.1.2001 ausdrücklich die Benachteiligung und Diskriminierung der Teilzeitbeschäftigten. § 1 TzBfG hat zudem die Teilzeitbeschäftigten ab dem 1.1.2001 ausdrücklich als Teilzeitbeschäftigte anerkannt. Es muß deshalb grundsätzlich davon ausgegangen werden, daß auch Geringbeschäftigte und sog. Aushilfskräfte bei der Erkrankung ihres Kindes und dem Vorliegen der sonstigen Anspruchsvoraussetzungen vom Arbeitgeber unbezahlte Freistellung für 10 oder 20 Arbeitstage pro Kind unter Berücksichtigung der Obergrenzen verlangen können. Geringbeschäftigte sind dann allerdings ohne Krankengeldanspruch. Da sie vom Arbeitgeber nur unbezahlte Freistellung verlangen können, erhalten sie für den Freistellungszeitraum keinerlei Vergütung.  

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Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug